Gedanken

Story by mryia jackalope on SoFurry

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Der helle Mond schien auf die Wellen des Wassers und brachte sie zum Glitzern. Es wehte ein kühler Wind in dieser Nacht, dunkle Wolken zogen immer wieder am Mond vorbei. Drüben, auf dem anderen Ufer des Kanals, wo die Kolonien lagen, dort war schon alles dunkel. Es war spät, schon weit nach Mitternacht. Das Wasser plätscherte leise gegen die gemauerten Ufer der künstlichen Wasserstraße, als sich ein Grollen näherte.

Mit lautem Donner rollte ein schwerer Güterzug über die stählerne Brücke, die den Kanal schräg überquerte. Nach einer Minute war wieder alles still. Der junge Pelzer stellte sein Fahrrad ab und stieg die alte Betontreppe hinauf, die zu den Gleisen führte. Schon oft war er hier gewesen, weit außerhalb der Stadt. Nur ein schmaler, kaum bekannter Uferweg führte hierher, eine ruhige und einsame Stelle zum nachdenken. Er mochte diesen Ort, er fuhr immer hier hin wenn er traurig war.

Am oberen Ende der Treppe setzte er sich auf die letzte Stufe, der Stein war kalt und rauh. Sein Blick streifte über das glitzerne nachtschwarze Wasser des Kanals, in weiter Ferne waren die Lichter der Großstadt zu sehen. Er seufzte und ließ seinen Gedanken freien Lauf. Schon wieder hatte es einen Streit gegeben, wieder einmal um Nichtigkeiten. Warum mußte es immer eskalieren? Warum konnte ihn sein Freund nicht einfach mal in Ruhe lassen?

Ganze fünf Jahre zog sich die Beziehung jetzt hin, am Anfang war alles so schön. Er, der junge Unerfahrene und sein Freund, der verständnisvolle Ältere. Wie sehr hatte er sich in ihm getäuscht. Eine offene Beziehung wollte sein Freund damals haben, auch mal Spaß mit anderen haben. Er akzeptierte es. Er liebte seinen Freund damals, und außerdem hatte er ihm ja die gleichen Rechte versprochen. Tolle Rechte. Er schüttelte den Kopf und wischte sich eine Träne von der Wange. Mit lautem Getöse rauschte ein Zug aus der anderen Richtung über die Brücke und unterbrach seine Gedanken für einen Augenblick.

Gedankenverloren blickte er noch lange den roten Rücklichtern des letzten Waggons hinterher, bis das Signal wieder auf Rot sprang. Schon damals kam es zu den ersten kleinen Streitereien, obwohl man noch in anderen Städten wohnte undsich nur alle paar Wochen sah. Wenn man sich öfter sehen könnte, würde alles besser werden, dachte er sich damals. So zog er Hals über Kopf in die andere Stadt, zu seinem Freund. Sich um eine gemeinsame Wohung für beide zu kümmern, das hatte der Kerl versprochen. Nichts geschah, immer nur Ausreden. Vielleicht war er ja damals wirklich nicht in der Lage, aber daran konnte man heute sowieso nichts mehr ändern.

So lebte er zusammen mit seinem acht Jahre älteren Freund zusammen in einer kleinen Einzimmerwohnung, auf knapp 40 Quadratmetern. Jeder Winkel war vollgestopft mit Kram, kaum Platz für Privatsphäre. Mit der Zeit wurde sein Freund immer fixierter auf ihn, fing an ihn zu überwachen. Er wollte wissen, wem er Emails schreibe, wissen mit wem er telefonierte. So etwas wie Privatsphäre kannte er nicht, sowas hatte er schließlich auch nicht gehabt. Kaum eine Woche verging ohne Streit, und die Hoffnung auf eine gemeinsame Wohnung hatte er schon aufgegeben. Immer wieder hatte er die Immobilienangebote durchsucht und viele interessante Wohnungen gefunden, doch sein Freund machte keinen Finger krumm. Es wurde Zeit für eine eigene Wohnung.

Doch er ließ ihn nicht mehr gehen. Sein Freund war verrückt nach ihm, wollte ihn nicht mehr verlieren. Krampfhaft hielt er ihn fest, blockierte seine eigene Wohnungssuche und begann ihm sogar zu drohen. Die Liebe war zu dem Zeitpunkt schon am bröckeln, zumindest von seiner Seite. Wie konnte man jemanden lieben, der einen bedrohte? Ganze zwei Jahre lang vegetierte er in der kleinen Wohnung, immer wieder Streit und Aggressionen. Er hielt es einfach nicht mehr aus dort, versuchte wegzulaufen. Irgendwohin, zu Freunden, zu Bekannten. Doch was nutzte es? Schnell hatte sein sogenannter Freund herausgefunden wo er war und verfolgte ihn.

Er nahm einen Stein und warf ihn in hohem Bogen in das Wasser. Wieder seufzte er schwermütig und fing an zu weinen. Irgendwann hatte er doch seine eigene kleine Wohnung bekommen, die Miete vom Sozialamt bezahlt. Doch noch immer war er von seinem Freund abhängig. Telefon, Waschmaschine, Internet, das alles hatte er nicht und konnte er sich auch nicht leisten. Jedesmal wenn er sich jemanden eingeladen hatte, wollte sein Freund genau bescheid wissen. Gefiehl ihm der Besuch nicht, wurde er zur Sau gemacht. Immermehr begann er, seine Sachen vor ihm zu verheimlichen, was nur noch mehr Streit verursachte. Seine wenigen verbliebenen Freunde rieten ihm schon lange, sich endlich von diesem Kerl zu trennen, aber wie?

Jedesmal, wenn er vorsichtig erwähnte, daß er etwas Abstand bräuchte, rastete er fast aus. Ihm war es unverständlich, das sein Freund nicht in seiner Nähe sein wollte. Mit Konsequenzen drohte er, schlimmen Konsequenzen. Wie diese aussehen würden, verriet er nie. Er hatte Angst, große Angst. Heute Nacht war es wieder so weit. Er konnte sich nicht mehr erinnern, warum sie sich gestritten hatten, aber seine Handgelenke schmerzten noch immer. Wie immer wollte er die Wohnung seines "Freundes" verlassen, bevor dieser richtig ausrastete, doch er wurde gewaltsam daran gehindert. Nur mit Mühe und Not war er entkommen. Nach hause traute er sich nicht, denn die Drohung, er würde hinterherfahren, machte ihm Angst.

Was hatte er noch vor sich mit seinen jetzt 23 Jahren? Er schüttelte den Kopf. Gerne würde er einen Neuanfang machen, doch mit seinen Depressionen konnte er eine Lehre vergessen. In Therapie war er schon, doch was nutzen all die Aufbaukurse, wenn sie zu Haus wieder zunichte gemacht wurden? Von den wenigen Freunden, die er noch hatte, wollten die meisten nichts mehr außer Reden mit ihm zu tun haben. Sie hatten Angst vor seinem Freund, der auch sie bedroht hatte. Er hatte zu viel verloren, vieles war nicht wieder gutzumachen. Das Leben machte einfach keinen Sinn mehr. Bevor er den Rest seines Lebens einsam und in Tyrannei verbringen mußte, wollte er lieber handeln.

In weiter Ferne war wieder ein leises Grummeln zu hören, ein Signal war auf grün gesprungen. Hinter einer Kurve erschienen die Scheinwerfer der Lokomotive. Seufzend stand er langsam auf und holte einen kleinen Zettel aus der Tasche. Der Wind hatte aufgefrischt und zerzauste ihm sein weiches Fell, es war schwierig den Zettel festzuhalten. Das Grummeln wurde lauter, leise begannen die Schienen zu singen. Mit einem Stift kritzelte er ein paar Worte auf den Zettel und stopfte ihn zurück in die Tasche, bevor er schluchzend auf die Gleise trat...

© 2003 Mryia Jackalope

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