Kapitel 5 - Eis und Schnee

Story by Schneewind on SoFurry

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#6 of Bonnie und Clyde - Eine Werwolfsromanze


November ging zu Ende. Der Mond schien spärlich durch die Eiswolken und warf hier und da zartes, graues Licht zwischen den Bäumen hindurch, dass Moos und Nadeln in den Farben der Winterskälte glommen. Raureif leuchtete unter Zweigen hervor und es schneite. Feine, sanfte Flocken, die wie Staub in der Finsternis schwebten und als Hauch im Wald raschelten.

Kand lief auf stillen Pfoten gen Villa Growlingwood. Sein Fell weiß bestäubt, mit nichts als Winter in Gedanken. Oh, es war so schön. Er musste keine Kälte fürchten. Durfte durch Mondlicht, Nacht und Schnee toben, ohne Sorgen, ohne Zwänge. Dazu seine schlanke Schnauze, die spitzen Ohren und scharfen Zähne - Kand war glücklich wie kaum ein anderes Wesen auf der Welt.

Am Rande der Lichtung hielt er schließlich inne. Die ihm zugewandte Seite der Villa lag vollends im Schatten, jenseits des Firsts jedoch schien der Mond. In keinem Fenster brannte Licht. Es war so dunkel dahinter, dass nicht einmal er hinein sehen konnte. Kands Pfoten wisperten in der Eisesstille, als er zwischen jungen Buchen und Lärchen hindurchschlich. Schwärzer noch, als der Schatten zwischen den Stämmen und ebenso flüchtig.

Ein Satz und der Wolf lief in einer Schneewolke über das Balkongeländer. So leicht, dass er beim Sprung kaum den Reif auf Moos und Gräsern brach, so schnell, dass ihn der Schwung mühelos weiter aufs Dach und über die Ziegel hinweg trug. Kand wusste nicht genau, wonach er suchte, deshalb fand er es bald. Eine Dachluke aus mürbem Holz, die unter seinen Pfoten wie von selbst aufschwang.

Das Schneegestöber mischte sich mit den aufwallenden Staubwolken und Kand sprang mittendurch in den Speicher. Warm und trocken war es darin, weit hinten sickerte graues Licht aus einem Spalt hinein, überall sonste herrschte Dunkelheit. Dicke rote Teppiche, ein Kronleuchter, Schränke voll wunderlichem Goldrat und Schmuckstücken, wie er sie nur aus Museen kannte. Dazu Kommoden, säuberlich verschlossen, mit Stößen von vergilbtem Papier und Briefen obenauf.

An einer Wand hingen zahllose Portraits, groß und klein, teils gemalt, teils schwarz-weiß. Nicht eines davon war in Farbe aufgenommen. Man hatte hier oben ein Leben weggeschlossen, die gesamte Periode der 30er und 40er aufgestapelt. Truhe um Truhe voll Dokumente, Bilder oder alten Hausrats. The Empire State - The Tallest Building In The World und Mankind Conquers The Moon! stand dort in altem Zeitungsfont.

Kand hielt inne. Vor ihm hing Mrs. Growlingwood. Schlicht eingerahmt, blasse Farben, Risse und Scharten im Papier. Elizabeth Growlingwood, 1876 Montana in blauer Tinte darunter. Die gleiche Narbe auf der linken Wange, das selbe misstrauische Funkeln in den Augen. Er trat einen Schritt zurück. Kein Zweifel, die strenge Dame, die dort vor 136 Jahren auf einem Schlachtfeld posierte, hatte ihn gestern zum Tee empfangen.

In der Tat, da war eine gewisse Steifheit und Attitude in ihren Bewegungen gewesen, die er nicht kannte. Dazu ihr Akzent, britisch beinahe. Wie es wohl war, die industrielle Revolution gleichsam mit der Mondlandung zu erleben? Nun, es war Seltsameres in den letzten Tagen geschehen. Wenige vorsichtige Schritte weiter und er stand an dem Spalt im Dach, aus dem feiner weißer Schnee entlang des Mondlichts auf ein Bücherregal fiel.

Feiner Eisstaub leuchtete in der Dunkelheit und leise, so leise. dass es seine Wolfsohren kaum hören konnten, rieselten die Flocken auf das alte Holz. Dicke Bücher, vollends aus der Form gegangen, standen und lagen bis unter die Decke. Eines davon fiel ihm ins Auge. Hoch und schwarz, mit adligem Goldschnitt und einem Gargyl unter dem unlesbaren Titel. Behutsam fuhr er mit der Kralle über den Einband, der noch im selben Augenblick unter der Berührung zerbrach und in sich zusammenfiel.

Ein zartes Klingeln und ein Schlüssel fiel heraus. Ein Schlüsselstück, gerade mal zwei Zentimeter lang. Vollends silbern und so grazil, dass er kaum wagte, es aufzuheben. Der Bart war abgebrochen, Griff und Stil mit einer hauchdünnen Brombeerranke verziert. Eiskalt, kälter noch als der Winter. Kand schnupperte daran und legte es zurück. Unheimlich, fühlte sich an wie die Taschenuhr.

Die Speichertür knarzte leise und öffnete zu einer schmalen Holztreppe, die hinab in die Finsternis führte. Jede Faser in Kands schlankem Körper wurde zum Raubtier, seine Augen erloschen und er schmiegte sich in die Dunkelheit. Nur ein Augenblick Stille, schon er blickte einen langen Korridor hinunter, von dem ein halbes Dutzend Türen abgingen.

Ein Bogenfenster am Ende des Ganges ließ Mondschein hinein. Und nun? Ein Monster bewohnte dieses Gemäuer, das wusste er. Ein Wesen, das ebenso mit der Nacht verschmolz, wie er selbst. Mit sprühenden Augen und einem Duft, der ihm in Sehnsucht das Fell sträubte. Doch es war gerade diese Überlegenheit, die ihn zögern ließ. Die Villa war groß, dunkel und still. Und, so leise er auch lief, man würde ihn hören. Dazu all die undurchdringlichen Schatten, in die er nicht sehen konnte... In dieser Nacht würde Kand nur finden, was gefunden werden wollte.

So begann es.

Alte Schlafzimmer, seit zehn Jahrzehnten verstaubt, mit Samtbaldachin, weichen Kissen und hohen Fenstern. Die schwärzesten Räume im schwärzesten Flügel, das Mondlicht im Treppenhaus und die hohen, weiten Räume um die Bibliothek. Dazu der Wintergarten, zu dieser eisigen Stunde in ein so bezauberndes Grau getaucht, dass es ihm den Atem verschlug.

Es war wahrlich ein Fabelwesen, das dort in den Gängen sein Unwesen trieb.

Und gerade, als Kand im finstersten Saal im höchsten Stock in drückender Grabesstille stand, dort wo selbst der Wind schwieg und ihm die Dunkelheit von den Fängen troff, da fuhr ihm ein Hauch über die Schnauze. Sanft und zärtlich, wie das Schneegestöber selbst. Schön und sehnsüchtig, dass ihm das Herz stehen geblieben wäre, hätte er eines besessen.

Der Wolf zitterte. Bleckte die glühenden Zähne. Sträubte das aschfarbene Fell vom Schwanz bis zu den spitzen Ohren und sprühte Funken. Beinahe hätte er geknurrt. Doch es war ihm einfach nicht möglich. Er verspürte keine Wut, er hatte keine Angst... Es war die schiere Rauheit eines wilden Tieres, dort in vollkommener Finsternis und Stille mit dem Duft eines Artgenossen in der Schnauze, unfähig auch nur den Schein der Glut zu sehen, in absoluter Gewissheit des umherstreichenden Monsters.

Einen Moment nur währte die Dunkelheit, dann kehrte der Wind ein und die matte Winternacht schien erneut durch die Fenster. Kand spitzte die Ohren, als der Geist ausfuhr und den Gang hinunter stob. In dem feinen Pfeifen und Heulen lag etwas wildes, beinah verführerisches, und so lief er hinterher. Es schien, als führte der Korridor direkt zum Mond. Denn durch das Glas am Ende lief gleißend weißes Licht über die alten Läufer, ergraute ihm entgegen und versiegte zu seinen Pfoten.

Was es wohl war, das ihn antrieb, den Wind zu fangen? Es zog ihn durch aufwallenden Staub des letzten Jahrhunderts, in gefährliche Schatten und schließlich zur letzten, hohen Flügeltür, bis seine Läufe müde wurden und er das Heulen nicht mehr vom Knarzen im Gemäuer unterscheiden konnte. Verhangene Möbel und neuerliche Finsternis dahinter, nur ein schwacher, unbestimmter Schein Winterlicht. Kommoden und Schränke waren bis unter die Decke gestapelt. Decken, Teppiche und Kissen quollen aus den Ecken, dass nichts als ein schmaler Durchgang über einem Regal blieb.

Kand schlich vorsichtig darüber hinweg, und trat in eine Pfütze Mondschein. Vor ihm streckten sich weiche, dunkle Bohlen zu einer großen Fläche bis zu den Bogenfenstern, durch die zauberhafter Winterglanz fiel. Und dort, im fahlen, weichen Licht, saß Zunder.

Sie sah hinunter in den Abgrund und über den Wald. Ein zartes Geschöpf, schöner noch als jedes Fabelwesen. Zu schlank, ein Wolf zu sein, die Schnauze zu schmal, die Ohren zu spitz. Nein, sie trug den unbeschreiblichen Duft einer Füchsin um ihre Silhouette. Zauberhafter Nachtschatten mit weißer Schwanzspitze und Pfoten, so fein und sanft, dass sie nicht einmal den Staub aufwirbelten. Das glänzende Fell schmiegte sich an ihre Gestalt wie Schneegestöber um eine Tanne im Wald, weicher und leichter als Kands Asche.

Die Füchsin saß dort auf den Hinterpfoten, den Kopf leicht gesenkt, so still, dass Kand den Frost am Glas klirren hörte. Der Wolf wusste nicht, wie ihm geschah. Nichts, gar nichts, was er hätte tun können, wäre ihr gerecht geworden. Für einen Augenblick und einen Moment verharrten sie, dann erhob sich Zunder und wandte ihm ihr Antitz zu. Ihre scharfen Zähne funkelten, doch sie glühten nicht. Sie sprühte keine Funken und da war kein Lodern in ihren Augen.

Sie flackerten.

Weiß und hell, in einer Farbe, wie sie nur der Winter kannte. Kand reckte sich, spitzte die Ohren und zitterte. Zunder schlich ihm entgegen, ohne auch nur eine Bohle knarzen zu lassen. Sie strichen umeinander, zwei Fabelwesen, im Licht des Schneenebels. Der Wolf zog seine Kreise enger, schnupperte und sträubte sein Fell, dass die Funken flogen. Die Füchsin tat es ihm gleich, flackerte und stieß ihn sanft mit der Schwanzspitze an.

Ein, zwei Atemzüge ging das Spiel, dann hielten sie inne, die Schnauzen nur eine Handbreit voneinander entfernt. Ungewiss, in all ihrer rauen Spannung, während ihnen der Staub um die Pfoten zog, den Kands Pfoten aufgewirbelt hatten. Es war Zunder, die schließlich vortrat und ihm zärtlich über die Wange fuhr, mit einer Zunge so weich, wie der Wind.

Behutsam erwiderte der Wolf ihre Zuneigung und schmiegte sich an ihre Seite, anfangs furchtsam, dann zunehmend wilder und glücklicher. Die Füchsin war so zauberhaft, dass ihm beinah die Sinne schwanden. Seine Sehnsüchte und Wünsche; was ihn einst zerissen hatte und nun so glücklich machte, all das schimmerte dort im Halblicht neben ihm. Lang saßen sie dort Seite an Seite und sahen hinunter auf die Tannenwipfel tief, tief unter ihnen, auf denen der Reif leuchtete.

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Die Taschenuhr stockte. Einige wenige feine Schläge waren durch das Fenster geschlagen, doch sie hatten ihnen keinerlei Beachtung geschenkt. Zunder vergrub den Kopf in Kands weichem Brustfell und der Wolf hatte sich als Asche und Schatten um sie geschlungen, wie um die Füchsin vor der Kälte zu schützen, die doch keiner von ihnen fürchtete. Als das Ticken allerdings ansetzte, verstummte und von Neuem begann, da hörten sie es. Und da es Zunders Uhr war, spürte sie das Eis. Die Füchsin sank in sich zusammen, ihre Augen flackerten und erloschen. In einem Atemzug verschwand der Duft aus ihrem Fell und sie fiel lautlos in Kands Pfoten. Es war ein Moment, der dem Wolf das Feuer aus der Brust schlug und all seine Funken zu Asche zerstob.

Doch er währte nicht lang. Einen Augenblick nur, und die Schläge vibrierten erneut am Glas. Das Leuchten kehrte zurück in Zunders Augen und ihre Ohren stellten sich auf. Kand wusste nicht wie ihm geschah. Sie knurrte gefährlich, fuhr ihm über die Schnauze und verschwand in einem Hagel aus spritzendem Glas und Reifsplittern, mitten hinein ins Schneegestöber, das hinter ihr herfegte und an den Scherben zerschellte.