Kapitel 3 - Kand und Zunder

Story by Schneewind on SoFurry

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#4 of Bonnie und Clyde - Eine Werwolfsromanze


Der Duft von Herbst und Wald sträubte sein Fell vom Schwanz bis zu den spitzen Ohren. Er, der Wolf, knurrte, dass die Funken stoben und schüttelte sich. Grau und schwarz, weiß um die Lefzen und weich wie sonst nichts auf der Welt. Es war die Asche selbst, die sich an ihn schmiegte und die Nacht fraß. Mit jedem Satz hinterließ er glühende Abdrücke, spürte wie ihn das Feuer unter seinen Pfoten hinaus in die Finsternis trieb. Grabsteine barsten und Holzkreuze loderten auf, als er zwischen den Gräbern hindurch setzte und auf die Kirche zuhielt. Es war nicht die Kathedrale selbst, es war das Dach und die Wasserspeier hoch oben, die ihn anzogen. Sie flüsterten. Nicht einen Augenblick zögerte der Wolf, er schlug die Krallen ins Holz und sprang nach oben, von Absatz zu Absatz, von Turm zu Turm, dass Schiefer und Splitter flogen. So leicht und schnell, dass er beinahe hätte fliegen können. Selbst der härteste Stein fühlte sich unter seinen Klauen weich und nachgiebig an, kein Satz schien zu weit.

Unten auf dem Friedhof wehte der Wind sanft und kühl, doch kaum hatte die Schnauze über den Dachfirst gereckt, zischte es um seine Fänge, riss an seinen Pfoten und sträubte sein Fell. Vor ihm kauerte ein Drache, die Flügel gespreizt, den Rachen weit geöffnet. Die Echse war kunstvoll aus schwarzem Stein gehauen, zeigte allerdings deutliche Spuren von Verwitterung und Alter. Er schlich an ihr und ihresgleichen vorbei, zur höchsten Stelle des Daches, die Augen gegen den scharfen Wind zusammengekniffen. Dort ließ er sich auf den Hinterpfoten nieder und fand sich Auge in Auge mit den Bergen wieder. Es war der höchste Punkt in Fairytale Falls, nicht einmal die Bank oder das Gericht reichten heran. Er konnte zwischen die Wipfel der umgebenden Wälder sehen, beinahe gar über die Bergrücken.

Von allen Seiten wehte der Wind. In idealer Balance, sodass er den Wolf im Gleichgewicht hielt und das Heulen an sich selbst erstarb. Von unten der Friedhofsgeruch, von oben dünner Regen, kaum mehr als Nebel. Ringsum das Rauschen des Waldes. Es war diese vollkommene Ruhe, die ihn in seinem wüsten Treiben inne halten ließ. Für einen Moment nur. Doch es war ein Moment, in dem er sein zartes Fell bis in die Spitzen spüren konnte. Seine scharfen Fänge und Krallen, die glühenden Augen und weichen Pfoten. Das schöne, wilde, fürchterliche, Fabelwesen, zu dem er geworden war.

Lange saß der Wolf dort oben. Der Regen wandelte sich zum ersten Schnee des Winters, fein und trocken. Der Herbsthimmel nahm das weiche Grau der Eisdämmerung an und im Tal glommen die Lichterketten auf. Eine nach der anderen, auf Dächern, an Zäunen und Veranden. Erst als seine Schnauze weiß bestäubt war, wandte er den Kopf und erhob sich. Behutsam und still, denn er war glücklich.

Ein Leben lang hatte Jamie sich gewünscht, schön und schnell zu sein. Kein Prinz auf hohem Ross, kein Rockstar. Spitze Ohren und schlanke Pfoten, helle Augen und scharfe Zähne. Und nun, nun war er schön. Trug ein Fell, das nach Eisregen und gefrorenen Beeren duftete. Oh, er würde tief in den Wald laufen, dorthin, wo sonst noch niemand gewesen war. Er würde von Dach zu Dach springen, wenn es finster war und alle schliefen. Er durfte der Schatten in all den wilden Gärten und alten Straßen sein. Ein Werwolf in Fairytale Falls.

Die Glocke schlug. Tief und mit einem Nachhall, lauter als der Ton selbst. Dachschindeln klapperten und der Stein brummte. Er konnte das Echo in den Gassen, weit, weit unten hören. Konnte die Holunderblüten des vergangen Sommers im Straßenschmutz riechen. Folgte einzelnen Schneeflocken aus dem Himmel bis zwischen die Grabsteine, ohne sie aus den Augen zu verlieren. Und dann knirschte es hinter ihm.

Es war der Drache. Und der Gargyl. Und die Schlange. Ein Wolf, ihm nicht unähnlich, war ebenfalls dabei. Sie alle erhoben sich von ihren Sockeln, Marmor, Granit und Schiefer, spreizten die Flügel und wisperten. Ihre Kiefer schlossen sich zu einem Grinsen und sie durchbohrten ihn aus vereisten Augenhöhlen.

Der steinerne Wolf trat von seinem Podest und das Flüstern wurde eindringlicher. In der verwitterten Pranke hielt er eine Taschenuhr, weißes Gold, an silberner Kette. Kand war darin eingraviert. Das Geschöpf sah Jamie aus scharfen, traurigen Augen an und ließ das Schmuckstück fallen. Es kullerte über die schwarzen Schindeln und verschwand in der Dunkelheit. Er konnte die Uhr durch vereiste Zweige fallen hören, das feine Klirren der Kettenglieder und den Aufprall im Moos. Schließlich blieb nichts als das Ticken aus der frostigen Tiefe. Ein Rhythmus wie er ihn noch nie gehört hatte. Die Fabelwesen kehrten zurück zu ihren Sockeln und das Wispern verschmolz mit dem Wind. In einer einzigen Bewegung wandten sie den Kopf und erstarrten. Alle blickten zu einem letzten, leeren Podest hinüber.

Unten auf der Straße wirbelten all die Blätter der letzten Wochen. Den Asphalt entlang, über einen Zaun und an einer Hauswand empor, dass sie von neuem herab regneten. Der Wolf folgte ihnen. Schnell und lautlos zwischen den Straßenlaternen hindurch, wobei er in den Lichtkegeln nichts als Ascheflocken und ein paar Funken hinterließ. Sie sahen aus wie Glühwürmchen in dem leichten Schnee, der nun fiel. Für ein paar leichte Sätze auf einem schmiedeisernen Zaun entlag und dann mitten hinein in ein verwachsenes Rosenbeet, in den Schatten einer hohen Steinmauer. Erde und welke Rosenblätter, der Duft von Sommer, Herbst und Winter, dazu das Rascheln von Laub, das Klappern von Schindeln unter seinen Pfoten, zu denen nun ganz Fairytale Falls lag. Es war fantastisch, über die Dächer zu laufen, dort wo der erste Schnee liegen blieb, durch Gärten zu schleichen, die Niemand mehr sehen durfte und von Licht zu Licht zu huschen. Bald lag der alte Stadtteil hinter ihm.

Und mit dem Schiefer verschwand auch das Ticken der Taschenuhr. Ja, von Sprung zu Sprung, wenn er die Ohren gespitzt hatte, dann war da das feine Ticken gewesen. Ein Schlag für jeden Augenblick. Doch mit seinem letzten, dem weitesten und höchsten Sprung ließ er nicht nur die Steinmauern, Eisenzäune und Herrenhäuser hinter sich, sondern auch dieses Metallspiel. Zu seiner Rechten lag nun Lilton, seine Vorstadt. Links führte eine Straße hoch in die Berge, brüchig und mit verschlissener gelber Markierung. Wie hätte er diesem Abenteuer widerstehen können? Es war kein langer Lauf, nur wenige feurige Sprünge zwischen den Bäumen hindurch, über den rissigen Asphalt, bis auch die letzten Laute und Gerüche der Stadt verschwanden und nichts außer Bergen und Wald war. Der Pass endete in Moos und Klippen. Und an einer einsamen Laterne, die sich müde gen Graben neigte und kaum mehr leuchtete, als kurz aufflackerte. Angeschlagen eine Flagge auf der Sterne fehlten und ein Schild.

Growlingwood stand dort in elegantem Vegas Font. Neonschrift, mit zerschlagenen Glühbirnen drum herum. Federschmuck und ein Glockenspiel hingen daran. Es zeigte geradewegs in den Abgrund, doch nebenan führt ein Pfad zwischen die Stämme, entlang staubiger Reifenspuren. Mochte einmal eine breite Auffahrt gewesen sein, denn hier und da schimmerte noch ein wenig Stein zwischen Sträuchern und Wurzeln hindurch.

Und in dem Rascheln und Knarzen der Bäume lag das Ticken einer Taschenuhr. Doch wie war das möglich? Der Wolf hatte das Schmuckstück in dem Moment vergessen, in dem er das Spiel des Uhrwerks hinter sich gelassen hatte. Er war davongelaufen. Nicht aus Furcht, nicht aus Unwohlsein. Es war das Ticken selbst, es fühlte sich kalt an. Kalt, denn er konnte jeden Schlag in seinem Innersten spüren. Wie Eistropfen in der Glut. Kalt, denn es war gleich dem Herzschlag, der ihm fehlte.

Es war dieser Rhythmus, den er zwischen den Bäumen wiedererkannte. Leise und weicher, als Kand. Doch genauso eisig. Er schlich zwischen den Zweigen, ein grauer Schatten im Mondlicht, orangrote Funken und weißglühende Zähne die im hellen Schnee kaum auszumachen waren. Die Bäume lichteten sich zu einem Haus. Nein, zu einer Villa, direkt am Abgrund. Das Anwesen war schlicht gehalten. Hohe Fenster, zweistöckige Säulen und Efeu. Doch der Wald ist kein rechter Ort für ein Haus. Auf dem Dach lag das Laub eines halben Jahrhunderts, die Fenster waren blind und dunkel und der einst weiße Marmor war zugewachsen, moosig und trüb. Eine Villa wie diese verlor nie ihre Majestät, doch den Bergen war sie nicht gewachsen. Der Balkon über dem Abgrund, in Schneenebel gehüllt, mochte fantastisch, ein architektonisches Meistwerk sein, aber es sah nicht aus, als würde es im Inneren jemals hell. Feiner Schneestaub lag auf Dach und Fassade und für einen Augenblick wehte ein Funken von innen gegen das Glas im ersten Stock, hing in der Finsternis und sah zu ihm hinunter. Doch kaum hob der Wolf den Kopf, da verschwand das Licht und das Fenster war trüb und schwarz wie zuvor. Er witterte und spitzte die Ohren, doch da war nichts. Gar nichts. Wind, der an ihm vorbei zum Haus fuhr, Schnee, und die undurchdringliche Dunkelheit hinter dem Glas. Nur das Ticken, nah und so gefährlich.

Es kam nicht vom Haus, sondern aus dem umgebenden Wald. In der Tat, ein schmaler Pfad führte geradewegs in die Richtung des Tons. Ein weiteres Mal fuhren ihm Zweige durchs Fell, knisterten Tannennadeln unter seinen Pfoten. Dann fand er, wonach er gesucht hatte. Ein Weiher. Wasser so dunkel und still, dass nicht einmal seine Wolfsohren den Schnee hören konnten, der hinein fiel. Am Grund Laub und Nadeln in vollkommener Ruhe und Kälte, braun und grau. Kein Wirbel, nur der Duft von Eis und flüssigem Frost. Eine einziges Blatt schwebte gespenstig in der Mitte, einen Fuß unter der Oberfläche. Es war das erste Mal in dieser, der letzten Herbst- und der ersten Winternacht, dass ein Strahl Mondlicht durch das Himmelsgrau fuhr und das Blatt einen Schatten auf den Teichboden warf.

Und dort unten, im Halblicht zwischen Herbstgerippen und Tannennadeln, lag eine weitere Taschenuhr. Doch sie war nicht aus Gold und Silber. Oh nein, man hatte sie aus Knochen geschnitzt, mit einer Kette aus hellem Metall, wie er es noch nie gesehen hatte. Das Ziffernblatt, Zeiger aus Platin auf schwarzem Grund in unbekannter Metrik, glänzte im Mondlicht. Auf dem Sprungdeckel war etwas eingraviert, doch er konnte es nicht lesen. Der Wolf hob die Pfote danach. Und da geschah etwas seltsames. Er fror. Die ganze Nacht über war er durch den Schnee gelaufen, war erhobenen Hauptes gegen den Wind getreten. Der Frost lag auf seinem Fell. Nichts von alledem hatte ihn gestört, im Gegenteil. Es war schön, die Kälte zu spüren aber nicht als unangenehm zu empfinden. Durch den Winter zu laufen, ohne ihn zu fürchten. Doch kaum hatte er die Krallen ins Wasser getaucht, da wurde ihm kalt. Mehr als das. Es war das Feuer in seinem Innersten, das ihn leben ließ. Und dieses Feuer begann in dem eisigen Wasser zu flackern. Was war das nur für eine Taschenuhr, die selbst den Teich gefährlich frieren ließ? Während er noch zurückwich und den Blick wieder in den Wald wandte, da klickte und knisterte es aus dem Weiher. Es war der Sprungdeckel der Savonette, der schloss und von dem Schmückstück aus kreisförmig Schlamm aufwirbelte.

Und nun konnte er den Schriftzug darauf lesen. Zunder stand dort in zarten Buchstaben. Ein schöner Name, auch wenn er noch nicht wusste, wem er gehörte. Oh, er hatte keine Ahnung.

Fußnoten: Nur eine. Sollte hier jemand das Spiel "Limbo" kennen, so hat er sich die Szene am Weiher genauso vorzustellen.