Aurora Borealis

Story by Bloodscale on SoFurry

, , , , , ,


English version not yet in progress. I am cramped with work. Maybe tomorrow, maybe next week, we'll see.

Aurora Borealis

_„Das Licht der Wahrheit

Hat noch jeden geblendet."_

--

Die Lichter funkelten wieder.

Sie das erstaunlich häufig in letzter Zeit - in dieser Nacht sicherlich bereits ein dutzend Mal. Gut, immerhin lag der letzte Sonnenuntergang auch zwei Monate zurück.

Seth löste seinen Blick von den tanzenden Schleiern am Horizont und stapfte keuchend weiter. Das Geräusch, mit dem seine Stiefel die verharschte Kruste der Schneedecke zu seinen Füßen aufbrachen, war der einzige andere Laut, den er vernahm; Trotz allem, was der Discovery Channel erzählte, blieb die polare Wüste ringsumher eben genau das: Eine Wüste. Ein sanftes Leichentuch aus Schnee und Eis zog sich von Horizont zu Horizont und es gab nichts, was seinem Auge Abwechslung, geschweige denn Erlösung von dem entsetzlichen Weiß dieses Ortes gewährt hätte, das ihn selbst in finsterster Nacht noch wie mit Nadelstichen malträtierte. Die Stürme der letzten Tage hatten sich gelegt, doch er fühlte ihren Biss noch immer in seinen Knochen. Eis hatte sich im fellbesetzten Rand seiner Kapuze festgesetzt, seine gesamte Polarmontur überzogen und selbst das schüttere Fell in seinem Gesicht, das ihm zuvor noch ein wenig Wärme bewahrt hatte, gefährlich auskühlen lassen. Als er an diesem Morgen - oder dem, was er als Morgen definierte - aufgewacht war, hatte der Frostbrand seine empfindliche Schnauze mit blitzenden Krallen zerfleischt, doch schon nach wenigen Stunden der Wanderung hatte er nichts mehr gespürt. Er wusste sehr genau, was das bedeutete.

Die Luft um ihn herum lag sicherlich bei vierzig Grad Celsius unter dem Nullpunkt und es wunderte ihn fast, dass er noch atmen konnte. Selbst seine Pfoten schienen unter den zentimeterdicken Handschuhen, die er trug, zu brennen als hätte er sie in Säure getaucht; Dass sein nahezu ungeschütztes Gesicht keinen Schmerz spürte warnte ihn, dass er kurz vor dem Erfrieren stand. Nun wusste er also, dass ihm die Zeit davonlief. Großartig.

Mit einem selbstzynischen Lächeln zog Seth seinen Lauf aus dem Schnee, machte einen Schritt vorwärts und sank erneut bis zum Knie ein. Mittlerweile fragte er sich, ob er nicht doch zuerst an Erschöpfung sterben würde, bevor die Kälte sein Leben forderte. Einmal mehr verfluchte er jedes Gramm, das er mit sich trug. Schlimm genug, dass er durch eine mehr als halbmeterhohe Schneedecke staksen musste, aber das Gewicht seiner Ausrüstung auf seinen Schultern machte jeden Schritt zur Qual. Er würde das hier nicht überleben, dessen war er sich sicher.

Und doch... während sein Körper starb, schien sein Geist zu heilen. Seine Wanderung zum Nordpol war ursprünglich nicht als eine Reise ohne Rückkehr geplant gewesen, doch wenn er auf die Wochen, die sie sich nun hinzog, zurückschaute, wurde ihm klar, dass sie nie etwas anderes gewesen war. Selbst davor hätte ihm klar sein müssen, dass jemand wie er solch ein Unterfangen unmöglich überleben konnte. Die Pole waren kein Ort für seinesgleichen, er war ein Fuchs, ja! Aber doch kein verdammter Polarfuchs!

Warum also war er trotzdem gegangen? Er konnte es selbst kaum sagen. Nicht, dass er die Antwort nicht kannte - er hatte lediglich Angst, sie auszusprechen. Dieser Drang in seinem Inneren, dieses formlose Begehren, das ihn hin zum Nordpol trieb... am Anfang hatte er es Harlekin zugeschrieben, es für einen weiteren ihrer schlechten Scherze gehalten, aber das war es nicht. Etwas Größeres, Mächtigeres als die Geisternärrin rief ihn zu sich, etwas, das er in Wahrheit längst als einen Teil seiner selbst erkannt hatte. Er war ohne Führer und Karte aufgebrochen, und es hätte selbst desMagneten in seiner Tasche nicht bedurft, um ihm zu sagen, dass er direkt auf den Pol zuhielt. Doch obwohl der Sog dieses Ortes stärker als selbst sein Überlebensinstinkt war, wusste er immer noch nicht, was er dort tun oder finden würde. Gesetzt dem Falle natürlich, dass er jemals dort ankam.

Mit einem ärgerlichen Zähnefletschen verdrängte er diesen Gedanken und kämpfte sich weiter vorwärts. Und weiter. Und weiter. Die Stunden strichen dahin, erstarrten wie Flüsse aus Eis - nur sein zunehmend schwerer Atem bewies, dass die Zeit überhaupt noch verstrich. Er war jetzt ganz nah, er konnte das Gefühl fast körperlich erfassen. Doch zugleich floss auch das letzte bisschen Kraft aus seinem Körper, und selbst sein stählerner Wille begann zu wanken. Es war zu spät, um noch aufzugeben. Nur noch ein paar Stunden...

Er kam nicht mehr dazu, seinen Gedanken zu vollenden.

--

Als er erwachte, flackerte das Nordlicht noch immer über ihm. Langsam schlug der einsame Wanderer die Augen auf, versonnen betrachtete er den zarten Reigen über seinem Kopf, und ein Frieden, wie er ihn noch nie gefühlt hatte, übermannte ihn. Er musste das Bewusstsein verloren haben, denn er spürte, dass er auf dem Rücken lag. Ohne seinen Rucksack wäre er wohl längst im Schnee versunken und erfroren, doch auch so fühlte er, dass seine Zeit gekommen war. Der Gedanke war seltsam beruhigend. Sein Sterben war so gut wie vollendet, und die Heilung seines Geistes mit ihm - im Glanz der Aurora Borealis dahinzuscheiden war ein denkbar romantisches Ende.

Kaum hatte er den Gedanken gefasst, brach ein zittriges Lachen aus seiner Kehle. Was für ein...

„Schwachsinn. Der Frieden, den du spürst, ist dein halb erfrorenes Gehirn. Was bist du ach so toller Hecht eigentlich für ein schlappschwänziger Trottel, wenn ich das mal - natürlich ganz ohne Wertung - fragen darf?" Das glockenhelle Lachen, das diesen Worten folgte, nahm ihnen jegliche Schärfe: „Komm, gehen wir mal zum Pol, verrecken dabei und sehen was passiert? Oh nein, du Dumpfbacke, das lasse ich mir nicht bieten."

Seth antwortete der Stimme mit einem unwirschen Knurren. Er wollte sich aufrichten, doch sein Körper gehorchte ihm nicht mehr. „Sehr witzig, Harlekin", krächzte er: „An welchem Punkt gedenkst du denn bitte etwas zu ändern?"

„An dem mit dem Verrecken natürlich." Das weiß geschminkte, breit grinsende Gesicht einer Menschenfrau schob sich verkehrt herum in sein Sichtfeld. Harlekin trug wie stets ihre farbenfrohe Amtstracht und schien sich wenig um die mörderischen Temperaturen oder die völlige Unmöglichkeit ihres Hierseins zu scheren. Wie immer ruhte ihr Blick nur auf ihm.

„Tja", Seth versuchte zu lachen, doch diesmal misslang es ihm kläglich: „Ich fürchte, da hast du dich ein bisschen verrechnet. Ich fühle mich gerade eigentlich ziemlich scheiße, weißt du?"

Harlekins Grinsen wurde noch breiter: „Oh nein, Freundchen. Im Moment fühlst du dich wie nach einer ausgiebigen Kur mit Kost und Logis. Ich glaube...", sie kicherte: „...dieser Dummschwätzerei werde ich entgegenwirken müssen. Als erstes wecken wir mal deine Nerven auf."

Sie klatschte in die Hände, und wie aus dem nichts umschlossen ihre Finger eine filigran geschnitzte Flöte. Während sie das Instrument an die Lippen setzte, begann sie, wie ein karibischer Voodoo-Schamane um ihn herumzutanzen. Bei jedem anderen hätte das albern gewirkt - bei ihr hatte es etwas Unheimliches. Seths sterbender Verstand erkannte das Lied, das sie spielte, wieder: Irgendeine alberne Karnevalsmelodie. Eigentlich etwas völlig harmloses - wenngleich absurdes - doch er kannte Harlekin zu gut, um ohne Furcht zu bleiben. Was hatte sie nur vor?

Nach einer kurzen Weile nahm sie die Flöte von den Lippen und sang in heitersten Tönen: „Und als dann Schnee drang in die Schuhe; War's vorbei mit seiner Ruhe; Da spürte er den Biss der Kälte; der ihm den schönen Schlaf vergällte."

Kaum hatte sie den Vers zu Ende gesprochen, fing Seth an zu schreien. Seine zuvor völlig tauben Hinterläufe flammten ohne Vorwarnung in so lodernde Schmerzen auf, dass er seine Schwäche schlichtweg vergaß. Sein ganzer Körper bäumte sich unter plötzlicher Qual, unter plötzlicher Kraft auf. Rote Kreise huschten durch sein Blickfeld und seine Ohren klingelten so laut, dass er Harlekins nächste Worte kaum verstand.

„Und seine Hände schreien Qualen; Sie schmerzen, ächzen wie zermahlen; Und was er atmet ist nicht Luft; Schon eher Klingen, ohne Duft."

Und wieder schienen ihre Worte seinen zuvor so gnädig betäubten Körper aus dem Schlummer zu reißen. Verzweifelt presste Seth seine Pfoten ins Gesicht, doch es wurde nicht besser.

Die Melodie stoppte abrupt. Nach einem Moment der Stille murmelte Harlekin mit gespielter Enttäuschung: „Also ich wusste ja, dass du meinen Stil nicht magst, aber dass ich so schlecht singe..."

„Halt! Die! Fresse!" Mit einem wütenden Fauchen riss der sterbende Fuchs sich vom Boden los. Die Kraft seiner Wut trug ihn vorwärts, und plötzlich fand er sich auf den Beinen wieder. Kaum hatte er realisiert, dass er stand, gaben seine Beine wieder nach. Er wäre gestürzt, doch ein Paar schlanker, menschlicher Hände bremsten seinen Fall. Seine Begleiterin richtete ihn wieder auf, rückte seinen Rucksack zurecht und verpasste ihm anschließend eine schallende Ohrfeige. Sie schien sich vor Lachen kaum noch halten zu können.

„Du bist noch nicht am Ziel", erklärte sie. Sie brachte ihr Gesicht bis auf wenige Zentimeter an das seine heran, wobei sein zähnefletschendes Knurren sie nicht zu stören schien, und stieß ihn dann von sich.

Seth stolperte los. Obwohl er seine Umgebung kaum noch wahr nahm, schleppte er sich weiter. Harlekins Intervention hatte seine eigene Verbissenheit zurück ins Leben geholt und er schwor sich, eher im Gehen zu sterben, als noch einmal aufzugeben.

„Wie geht es eigentlich meinem Bruder?", fragte er, ohne stehen zu bleiben.

Harlekin setzte ihm mit einen Radschlag nach und hielt dann Schritt mit ihm. „Ich muss gestehen, er ist der Grund meiner Anwesenheit. Jacob ist tot, Seth."

Jetzt blieb er stehen. Allerdings nur für einen Moment.

„Selbstmord?", fragte er knapp, während sein Körper sich wieder in Bewegung setzte. Harlekin nickte. „Dieser alte Feigling. Ich hätte es wissen sollen."

„Und das ist alles, was du dazu zu sagen hast?", Harlekin riss eine alberne Fratze und sprang ihm hinterher.

„Was hast du erwartet?", noch während er sprach drehte Seth sich von ihr weg, damit sie nicht sehen konnte, dass er weinte. Glücklicherweise gefroren seine Tränen noch auf seinen Wangen, wo der Wind sie fort trug. „Dass ich wehklagend auf die Knie falle? Vergiss es. Es war ohnehin klar. Dass mein Herz an ihm hing war ihm schon immer völlig schnurzegal, für ihn gab es nur Josephine und sonst niemanden! Sie ist auch tot, nehme ich an? Und schon schmeißt er sich von der Klippe, während sein kleiner Bruder am Nordpol krepiert. Klasse! Tolle Leistung du Arschloch!" Er begann zu schluchzen. Und hasste sich dafür.

„Wir sind da", erklärte Harlekin - Seth verharrte. Ihrer Stimme hatte jegliche Emotion gefehlt. „Das hier ist der Pol."

Er wankte noch ein paar Schritte weiter, dann verließen ihn einmal mehr die Kräfte und er sank in den Schnee. Sein Kopf war ein einziges Chaos. Trauer um Jacobs Tod, Angst vor seinem Eigenen, Freude darüber am Ziel zu sein... und wieder: Friede. Was auch immer ihn gerufen hatte, war verstummt.

„Da bin ich", murmelte er: „Warum bin ich hier?"

Er fühlte, wie Harlekin an ihn herantrat. Sie ließ sich vor ihm in die Hocke sinken und für einen Moment glaubte er, ihren Atem auf seinem Gesicht zu spüren. Sanft nahm sie seine Hände in die ihren und sah ihn an. Ihre Lächeln wirkte nicht mehr spottend, schon eher... zärtlich. „Das weißt du doch." Er fühlte, wie sie etwas in seine behandschuhten Finger legte.

Und begriff erst dann, dass er nichts anderes mehr spürte. Weder Kälte noch Schmerz. Rasch streifte er seine Handschuhe und begutachtete, was darunter lag.

Er besaß kaum noch Fell. Seine Haut war krebsrot angelaufen und um das Bett seiner Krallen stark angeschwollen. Drei oder vier Finger waren völlig schwarz - erfroren, tot. Aber dennoch fühlten sie. Er konnte die zierliche Holzflöte, die sie umklammerten genau ertasten.

Seine Augen suchten Harlekins Blick, aber sie lächelte nur weiter und deutete in den Himmel.

Ihrem Fingerzeig folgend hob er den Kopf und betrachtete die Nordlichter. Sah den verschlungenen Reigen der ätherischen Lichtfetzen im Schwarz der Nacht. Grün, Blau, Rot, Gelb. Immer leichter wehten die wilden Farben umeinander, immer schneller wurde ihr Tanz. Und endlich begriff er.

„Jacob."

Harlekin nickte zustimmend, ohne ihren eigenen Blick vom Himmel abzuwenden: „Er hat immer davon geträumt, eines Tages das Nordlicht zu sehen."

„Er hat mich gerufen? Es war seine Stimme?"

„Nein. Aber sein Wille. Ihr seid Brüder, Seth. Er ist sicherlich nicht gegangen, ohne dir etwas zurückzulassen."

„Aber", der Fuchs schüttelte den Kopf: „Als ich aufbrach, war er doch noch am Leben."

Harlekin zuckte mit den Schultern: „Zeit ist ein Gesicht auf dem Wasser."

„Wollte er also, dass ich mit ihm sterbe?"

„Eine nette Frage", sie schürzte die Lippen: „Aber ich denke eher, dass du es wolltest. Ein Teil von dir. Du hast ihn sehr viel mehr geliebt, als du zugibst."

Seth nickte abgehackt. „Was war dann sein Wille?"

Für einen Sekundenbruchteil schaute die Geisternärrin ihn an. „Diese Flöte", gab sie anstelle einer direkten Antwort zurück: „Gehörte Josephine."

Nach einer kurzen Weile senkte ihr Begleiter den Blick: „Dann soll unser beider Wille erfüllt werden. Wirst du bei mir bleiben?"

„Bis ans Ende aller Tage." Lächelnd beugte sie sich vor und hauchte ihm einen Kuss auf die Wange

Seth ließ seinen Blick noch für einige Sekunden durch ihr Gesicht streifen, bevor er seine Augen in den Himmel und die Flöte an die Lippen hob. Harlekin hatte recht gehabt. Jacob war ihm jetzt näher denn je. Er konnte das, was sie verband, in sich schwingen hören. Sah sein Gesicht im Nordlicht. Seine ausgestreckte Hand.

Seine zugefrorenen Lippen schlossen sich um das Instrument und seine längst toten Finger begannen, ihm die Melodie zu entlocken, die in seinen Gedanken widerhallte. Sein Blick verlor sich im Nordlicht.

Sein Geist folgte ihm bald.

Wie sie versprochen hatte, hielt Harlekin bei seinem Körper Wache. Monatelang sah sie zum Himmel hinauf und beobachtete verträumt das Spiel der zwei Geister darin, Geister wie sie. Und wann immer wilde Farben über den Nachthimmel flackerten, glaubte sie Gelächter zu hören, so fern, dass selbst sie es kaum noch wahrnahm.

Als der Sommer anbrach und die polare Nacht zu Ende ging, ließ auch sie die Arktis hinter sich. Die beiden Brüder waren fortgegangen und so machte sie sich auf, ihnen zu folgen.

Die Ewigkeit wartete.