Bellkur

Story by Noiratblack on SoFurry

, , , , , , ,


Bellkur

Vorwort: Dies ist eine Geschichte, die auf bereits geschehen Ereignissen basiert. Um die Zusammenhänge zu verstehen ist es zwingend notwendig, vorher die Geschichte „Maro" und danach „Zerodyme" zu lesen. Sie sind zum download bereit bei furaffinity.net, von Noiratblack, Suchwort: Maro/Zerodyme.

Zeit ist endlos,

der Tag ist am Ende der Nacht,

der Morgen trifft nie den Abend,

so wurde es gesagt.

Doch da nun ist das Chaos,

die Welt dadurch zerrissen,

das Universum in Feuer.

Ich bete es möge Wasser existieren

und Gnade herrschen.

Doch herrscht Gier,

doch herrscht Hass,

der Tod mit seiner Hand,

der König leget seine darauf.

So ist es die Tat des Mächtigen,

die Schwachen zu morden,

die Gerechten zu versklaven

und Welten zu töten.

So starb die Meinige.

Welt des Sandes.

Tot und öd ist sie nun,

eine Ruine ohne Leben.

Ihr Flammen, ihr Feuer,

ihr Großartigen,

rettet eure Welt!

Der Namenlose

Prolog: Noir, der Schwarze

Die Geschichten über Drachen, die Legenden, Märchen und Epen, sind vielfältig, zahlreich, voller Farben, Ritter, Krieger, Schätze, großer Schlachten, edlen Wesen, Magie, Zauberei und einzigartiger Schicksale. Und in jeder Einzelnen steckt ein Wunsch, ein Begehren, ein Hoffen und Flehen, dem sich kein Lebewesen widersetzen kann. Es ist der Wunsch nach mehr. Was dieses ist, ob Macht, Gefühle, Ego, Liebe oder Gerechtigkeit, das bleibt dem Schriftsteller überlassen, ihm allein.

Diese Geschichte wurde vor langer Zeit zu Papier gebracht, von einem Mann der sich selbst Noir, der Schwarze nannte. Ich schrieb seine Worte auf, weise, alte Worte aus jungem Mund. Ich selbst vermochte nicht zu glauben, was er sagte, dennoch schrieb ich jedes einzelne Wort, um die Erzählungen des Reisenden, der ganz in Trauer gekleidet war, für die Nachwelt zu erhalten. Ich erinnere mich, dass er althergebrachte Kleidung, Mantel und Umhang, trug. Er sprach in einem fremden Dialekt. Ein Dolch lugte zu jeder Zeit griffbereit an seinem Gürtel heraus. Nur kann ich nichts zu seiner Augenfarbe sagen, denn weißes, langes Haare bedeckte stets sein Gesicht wie ein Schleier aus Mondlicht. Durch die Strähnen vermochte ich einen Blick auf einen schmales, geschnittenes Gesicht zu werfen, doch stets waren die Augen geschlossen und immer wenn ich glaubte, sie offen zu sehen, so sah ich dennoch nichts außer den silbernen Glanz seines weißen Haares. Der Mund hatte immerzu ein mildtätiges Lächeln aufgesetzt.

Ich fragte ihn viele Dinge, woher er das wisse, wie er dies alles erlebt haben konnte. Er beschwichtigte meine Neugier immerzu mit denselben Worten.

„In den Zeilen steht die Wahrheit. Nicht ich muss euch antworten, sondern ihr müsst lernen zu lesen."

So schrieb ich geflissentlich jedes Wort, jede Silbe dieses außergewöhnlichen Mannes, der so freundlich, so vertraut sich neben mich in einer schäbigen Spelunke gesetzt hatte, als wären wir alte Freunde, als hätte er gewusst, was meine Lebensaufgabe ist.

Er erzählte die Nacht hindurch und die nächste Nacht und Stunde um Stunde gab ich ihm ein Getränk nach dem anderen, während seine dunkle, den Ohren schmeichelnde Stimme mir von der Geschichte Maros, Zerodymes und Bellkurs erzählte. Er redete von fernen, toten Welten, von Dimensionsrissen, von Kämpfen, größer als alles was zuvor jemals dagewesen, so ernsthaft, so überzeugt, dass ich das Gelächter der Halbstarken überhörte und jeden Buchstaben gierig auf das Papier brachte.

Nach drei Tagen verließ er mich und einen großen Stapel Papier, verabschiedete sich mit einer Verbeugung. Er legte den Dolch als Geschenk auf den Tisch, übergab ihn mir. Eine ganze Weile starrte ich diesen Dolch an, denn war es nicht eine Waffe, wie in seinen Geschichten? Zwergenhandwerk, doch durch die alten Runen, Jahrhunderte alt, erkannte ich ein Artefakt von unvorstellbarem Wert. Ich packte die Waffe, rannte nach draußen, doch der Nebel war dicht. Ich sah Schatten verschwinden, sah seine Fußspuren im Schlamm viele andere kreuzen. Tigermenschen, Wolfsmenschen, viele andere Wesen traten auf sie und machten die Stiefelspuren endgültig unkenntlich.

Ich ging zurück in die Spelunke, setzte mich in meine dunkle Ecke und betrachtete den Dolch im Kerzenschein. Eine Gravur war auf dem Griff.

Kind.

Mehr nicht. Doch dies war genug für mich, da ich nun erkannte, verstand. Umso mehr überfiel mich der Wunsch, dem Mann hinterher zu laufen, doch er war wahrscheinlich schon Kilometer weit weg. Ich setzte mich, begann zu schreiben, die Worte zusammenzusetzen, diese fantastische Geschichte der Welt zu schenken.

Kapitel 1: Bellkur, der Reisende

Es war fast ein Jahr her, seitdem die Drachen über dem Schloss von Vanitasus gekreist waren und dort eine Kreatur bekämpft hatten, ein Geschöpf, erschaffen aus menschlichen und drachischen Genen.

Das Schloss verfiel nun, war mehrere Male von Fürstentümern annektiert worden, zusammen mit den reichen Bergen, doch immer wieder kamen andere Armeen, andere Herrscher.

Alles kam, wie Maro es vorausgesagt hatte. Kriegsgeschrei schallte empor, wurde durch Land und Tal getragen, wehte über Berge und Sümpfe. Klingen kreischten, Todesschreie folgten dem metallenen Klang. Kanonen schossen Feuer auf die Feinde, laut und rauchend erinnerten die Bataillone an Drachen, die ihr Feuer spieen. Speere glänzten in der Sonne silbern und hell, doch recht bald wurde sie verdeckt von Rauch, von Schwefel und Aschewolken.

Der Krieg hatte erneut ein Spielbrett gefunden, ein Spielbrett auf dem es genug Figuren gab. Doch diese reichten nicht, sie reichten bei weitem nicht. So kamen die Menschen bald auf die Idee, sich Hilfe von anderer Seite zu holen. Waffenstärke reichte nicht, Mannesstärke reichte nicht, Magie reichte nicht. So besannen sie sich alter Geschichten, alter Legenden, großer Mythen und längst vergessenen Namen. Nichts ist härter, nichts bildet eine so perfekte, so unzerbrechliche Klinge, wie ein geschliffenes Drachenhorn. Kein Schild ist so fest, so stark wie eine einzige, in Feuer gebrannte Schuppe. Niemals wird ein Heiltrank die Wirkung eines Tropfen Blutes übertreffen.

Alte Geschichten, wohlbekannt.

Bellkur, der berühmte Herr der Elemente, sollte zuerst erfahren, wie es war, wenn der Krieg rief, man sich aber weigerte, seinem Monolog zuzuhören.

Er hatte Trepo die ganze Zeit gemieden, denn Bellkur konnte sich nur allzu lebhaft die Reaktion der Leute vorstellen, wenn der Drache kam, der die Stadt zerstört hatte. Dennoch war es nun nicht mehr zu vermeiden. Bellkur hatte vor kurzem Maro im Tempel besucht. Maro hatte ihm bei der Abreise einige Zwergenschätze mitgegeben und ihn gebeten, sie ihrem Besitzer, dem Schmied Quarchras, wieder zurück zu geben.

Nachdem Vanitasus fort war gab Maro langsam und allmählich allen Zwergen ihre Artefakte und Geschmeide zurück, die sie von ihm hatten verstecken lassen. Die vielen Fürsten, die jetzt Krieg führten, hatten kein Interesse daran, Zwerge zu enteignen, sie zu jagen oder auszurauben. Sie brauchten ihre Schmiedefertigkeiten.

Der Flug nach Trepo war lang und die Kiste wog mit der Zeit schwer in Bellkurs Armen, doch er brachte sie unversehrt zu Quarchras, der sich überschwänglich bedankte. Niemand nahm in irgendeiner Form Anstoß an Bellkurs Besuch. Niemand beachtete ihn mehr als sonst. Es mochte daran liegen, dass sie alle viel zu viel mit Aufbauarbeiten zu tun hatten oder auch daran, dass kaum einer Bellkur mit dem Schatten, der mit Lichtklingen die ganze Stadt eingeebnet hatte, in Verbindung brachte oder vielleicht auch daran, dass das Gedächtnis der Menschen einfach nur schlecht war.

Bellkur sah sich weiter auf dem Markt um. Die meisten Stände gehörten Bauern, die ihr Vieh, ihr Gemüse und Obst verkauften, auch zwei Schmiede waren darunter. Vor ihren Ständen sammelten sich Soldaten, die Schärpen mit dem Wappen des hiesigen Fürsten trugen. Zumindest vermutete Bellkur das. Er hatte auf seinem Flug nach Trepo zu viele Flaggen, Symbole und Zeichen auf irgendwelchen Papierfetzen gesehen, als dass er sie noch auseinander halten konnte.

Bellkur flog wieder, nahm direkten Kurs auf Zerodymes Wald. Er hatte sie seit einigen Wochen nicht mehr gesehen und er hatte aus irgendeinem Grund das Bedürfnis mit ihr zu reden. Vielleicht war er der Einsamkeit, der er sich sonst ganz gern hingab, um mit seinen Gedanken allein zu sein, überdrüssig.

Sein Flug wurde jäh beendet. Rauchsäulen verschlangen eine große Stadt, in der Bellkur Rast hatte machen wollen. Armeen marschierten ein, in den Straßen herrschte Chaos, Soldaten lieferten sich erbitterte Häuserkämpfe, Frauen und Kinder wurden erschlagen, manchmal auch Schlimmeres. Im Schutz der nahenden Nacht beobachtete Bellkur das grausame Schauspiel eine Weile, sah, dass jemand hinter den Linien der belagernden Armee aus einem Minenschacht, in einem kleinen Wald verborgen, rauskletterte und davonlief. Er vermutete ein ehemaliger Fürst, der nun zu einem weiteren der vielen durch den Krieg mittellos Gewordenen werden würde. Vielleicht rannte auch zu einem Verbündeten, würde um Hilfe bitten. Bellkur interessierte es nicht. Er nahm wieder seinen Flug auf, glitt über Rauch und Feuer.

Er spürte plötzlich eine Ansammlung Magie. Instinktiv drehte er seinen Kopf in die Richtung. Auf einem Berg war eine kleine Gruppe Menschen. Sie luden eine große Balliste. Ehe Bellkur sich wundern konnte, warum sie aus der Entfernung tatsächlich glaubten ihn mit einer solch sichtbaren, langsamen Waffe treffen zu können, schossen sie. Der Bolzen raste heran. Bellkur entfesselte seine Gedanken, beschwor eine starke seitliche Windböe, die den Bolzen nach links werfen sollte.

Der Zauber zerbrach an ihm.

Bellkur erschrak, ließ sich im letzten Moment fallen. Wie in Zeitlupe sah er den Bolzen an ihm vorbeifliegen, sah die Beschwörungen, die Magie abprallen ließen auf seiner pfeilförmigen Klinge eingeritzt. Der Bolzen beschrieb einen scharfen Bogen, fiel plötzlich auf Bellkurs Rücken zu. Der Drache fluchte ohrenbetäubend, drehte sich im Fall und fing das Geschoss mit einiger Mühe. Es ruckte in seinen Armen umher, versuchte sich zu befreien. Bellkur ging wieder in den Gleitflug, betrachtete aufmerksam die Zeichnungen auf der Klinge. Sie waren in verschiedenen Sprachen gehalten, aber unscharf, wie in großer Eile gekritzelt. Bellkur kannte nur eine Gruppe, die über solche Fähigkeiten und Magie verfügte.

Drachentöter.

Bellkur brüllte wütend, bei dem Gedanken an die Drachentöter sofort an viele Freunde denkend, die er ihretwegen nie wieder gesehen hatte. Er verbog den Bolzen, seine Gedanken durchbrachen die antimagischen Runen, schmolzen ihn in seinen Klauen. Mit ausholenden Flügelschlägen raste er heran, sammelte seine Magie in den Flügeln, die anfingen in durchdringendem weiß zu leuchten.

Erst als er auf weniger als hundert Meter heran war, sah er den steilen Hang hinter der Balliste.

Einen Moment später erkannte er in den vielen schwarzen Flecken weitere Drachentöter, die soeben mindestens ein dutzend Ballisten abfeuerten.

Adrenalin raste durch Bellkurs Körper. In einem Moment wurde ihm klar, dass es nun nicht mehr um Rache, sondern ums Überleben ging. Er drehte eine schnelle Spirale, ließ die ersten Bolzen an sich vorbei fliegen, es folgte ein Buckel, denn zwei weitere hatten seinen Bauch anvisiert. Die Bolzen korrigierten ihre Flugbahn. Bellkur, immer noch in Flugrichtung zu den Drachentötern, hatte eine wunderbare Idee.

Er schoss seine Magie heraus, beschleunigte sofort auf ein wahnsinniges Tempo. Die Bolzen reagierten kaum, als er an ihnen vorbei raste. Er brachte sich weit über ihnen in Position, begann einen senkrechten Sturzflug. Die Magie brach aus seinen Flügeln. Er kreiste, ließ einen Wirbel aus Lichtklingen los. Er war fast so schnell wie sie, versteckte sich vor den Pfeilen und Zaubern inmitten des Lichts.

Im letzten Moment ging er wieder in die Horizontale, flog über die Köpfe seiner Feinde hinweg, die meisten von ihnen durch die Klingen vom Körper getrennt. Die Bolzen, schlugen nur Momente später ein, unfähig Bellkurs scharfer Kurve zu folgen.

Er landete, ging sicher, dass es keine Überlebenden gab, bevor er abflog. Und in jeder toten Grimasse sah er verlorene Freunde.

Einige Tage darauf erreichte er ohne weitere Zwischenfälle Zerodymes Wald. Die Kämpfe ließen in dieser Richtung nach, der Krieg dehnte sich weiter nach Westen und Norden aus, doch der weiter südlich gelegene Wald Zerodymes wurde von den Armeen gemieden. Zu schaurig waren die Geschichten, die man über das Monster dieses Waldes erzählte.

Bellkur landete auf einer Anhöhe, in einem lichten Teil des vielfarbigen Blättermeeres, in das der Herbst den Wald verwandelte.

Bellkur schickte seinen Geist aus, durchsuchte mit seinem Geist die Bäume. Zerodyme war in einiger Ferne, er konnte spüren, wie sie ihre Flügel ausbreitete. Sie hatte ihn bemerkt.

Nur kurze Zeit später landete sie, ein schwarz-grauer Coatyl. Sie sah die noch immer aus Bellkurs Körper sprießenden ätherischen Verwirbelungen.

„Was ist geschehen?"

Bellkur senkte den Blick, schüttelte bedauernd den Kopf.

„Eigentlich kam ich nur her, um etwas mit dir zu reden...aber...weißt du es nicht?" Zerodyme schaute ihn fragend an.

„Alle möglichen Fürsten führen gegeneinander Krieg. Ich bin einigen Drachentötern begegnet. Die Stadt vier Tage nördlich von hier...wie hieß sie..."

„Sadess?"

„Ja. Sie wurde angegriffen. Der dortige Fürst floh. In Trepo tummeln sich Soldaten und ich habe einige Gerüchte gehört, wonach das Schloss von Vanitasus schon mehrmals den Besitzer gewechselt hat."

Zerodymes Blick verdunkelte sich unmerklich. Nur ungern erinnerte sie sich an den Kerker, das Labyrinth, all die Soldaten, die Kreatur.

„Es scheint also, dass Maro Recht...", sie stockte, ihr Blick wurde abwesend. Sie zwinkerte irritiert.

„Zero?", fragte Bellkur. Sie winkte ab, griff sich an den Kopf. Sie atmete schwer. „Zero!", rief Bellkur, als sie langsam zusammensackte. Er spürte die einstürmende Magie. Irgendetwas drang mit Macht in ihren Geist. Plötzlich spürte Bellkur eine magische Kraft. Sie kam rasch näher und war immens.

Am Horizont tauchte ein Schlangendrache auf, seinen Körper wellenartig in der Luft bewegend. Bellkur machte sich bereit, doch Zerodyme hielt ihn zurück, sich immer noch den Kopf haltend.

„Lass. Das ist kein Feind.", sagte sie. Ihre Stimme erstarkte wieder, der Schmerz ließ nach. Schnell kam der Drache näher. Bellkur erkannte hellgelbe Schuppen, in denen sich das Sonnenlicht spiegelte.

Er landete, riss dabei versehentlich zwei junge Bäume mit seinem langen Körper um. Zerodyme, sonst immer cholerisch, wenn es um ihren Wald ging, reagierte kaum. Auch Bellkur verkniff sich jede Bemerkung. Der Drache vor ihnen war weit größer als er, musste mindestens hundert Meter lang sein, seine Flügel verdunkelten den Himmel und die Schuppen machten aus der Nähe den Eindruck, als wären sie aus Diamant. Merkwürdigerweise sah sein Gesicht Maro täuschend ähnlich, wenn auch die fleischigen Haare fehlten und die Augen nicht metallen sondern in einer merkwürdigen Mischung aus grün und hellem blau leuchteten.

„Ahh...", sagte er mit einer lauten, rauchenden Stimme. Bellkur konnte spüren, dass sie von Blut und Tod getränkt war. Der Hass strahlte. Dieser Drache hatte gemordet wie Bellkur es sich nicht vorzustellen vermochte. „...dein Wald. Er ist schön, meine kleine Flamme."

„Seid gegrüßt...Meister.", sagte Zerodyme.

Kapitel 2: Der Namenlose, Ausrufer des Wahnsinns

„Verzeih, dass ich deine Bäume verletzte."

„..."

„Und dein Geist...es tut mir Leid. Ich war neugierig was geschehen war. Ich wollte dir nicht wehtun."

„..."

„Ohh...wie habe ich das vermisst. Dieser Zorn, diese unterdrückte Wut. Meine Flamme, ich weiß welches Fegefeuer dein Geist ist. Und wer ist das?"

„Das wisst ihr doch, oder nicht?"

„Sicher. Sicher. Bellkur, der mächtige Avial." Er bewegte seinen Kopf, betrachtete Bellkur neugierig, was dem Avial nicht ganz geheuer war. Zerodyme hatte einst von dem Namenlosen, ihrem Meister, berichtet und auch Maro hatte einige Worte bei seinen Besuchen verloren, aber nie hätte er sich diese Macht, von der die beiden geredet hatten, so fühlbar vorgestellt. Ebenso seine Größe und Länge. In Bellkurs Heimat nannte man so etwas Leviathane, übermächtige, gigantische Drachen, von denen es nur sehr wenige gab. Und Maro hatte erzählt, es hätte viele von ihnen in seiner Welt gegeben...

„Wie schön deine Bekanntschaft zu machen.", sagte der Namenlose. Ohne es zu wollen starrte er Bellkur nieder, der sich beunruhigt etwas kleiner machte. Der Namenlose legte seinen langen Körper schlangengleich nieder.

„Ich freue mich euch wieder zu sehen.", sagte Zerodyme, ihre Stimme wieder findend. „Aber ihr kommt...plötzlich. Was ist mit jener Welt? Mit eurer Rache? Oder seid ihr so schnell?"

„Schnell? Nein. Ich war es keinesfalls, doch die Wüste, zu der die Welt wurde, war tot und meine Sinne waren scharf. Ich sah die Funken verlöschen, war selbst manches Mal der Auslöser, aber irgendwann waren sie alle weg. Ich verließ die Gestade des Todes...und kaum bin ich hier, so bist du da. Es scheint Schicksal zu sein, dass wir einander stets sofort finden. Die fielst vom Himmel, direkt vor meiner Höhle und ich öffne den Himmel und fliege hindurch, direkt vor deinem Wald."

„Also ist Maros Welt tot?"

„Das ist sie. Sie trockener als jede Salzwüste, jegliches Wasser ist verseucht und Vulkane speien unablässig ihr Feuer. Wäre ich noch viel länger dageblieben, ich hätte durch die giftigen Dämpfe kaum noch atmen können." Der Namenlose sah in die Ferne. Bellkur spürte wie sich seine Sinne dehnten, weiter als er es je gekonnt hätte.

„Krieg.", bemerkte der Namenlose

„Ja.", bestätigte Zerodyme. Sie sah über die Baumwipfel des Abhangs hinweg in die Weite des Landes. Die Sonne ging langsam unter und die nahende Dunkelheit offenbarte viele kleine Feuer, winzige Lichtblitze. Der Krieg näherte sich.

Lange redeten sie miteinander. Die Drachen sagten dem Namenlosen was sie wussten, was Maro gesagt hatte und Bellkur berichtete von seinem Besuch in Trepo und den vielen Soldaten die er auf seinen Reisen gesehen hatte.

„Maros Theorie...ist vermutlich korrekt.", sagte der Namenlose. „Man kann es nicht mit Bestimmtheit sagen, doch solche Mengen ätherischer Stürme, wie sie allein in dieser Gegend entfesselt werden, können nicht gut für die Natur sein."

„Es ist nicht nur das.", sagte Bellkur. „Die Drachentöter gehen gezielt vor. Ich wurde von einer beeindruckend großen Gruppe angegriffen und sie waren bestens gerüstet." Er dachte eine Weile nach. „Merkwürdig ist, dass sie sich aus der Schlacht heraushielten, obwohl es besser ist sich in ihr zu verstecken. Die Masse schützt sie dann."

„Was machen sie überhaupt?", fragte sich Zerodyme. „Ich habe lange nichts mehr von ihrem Orden gehört, nur vereinzelt zeigen sie sich noch."

„Im Schloss haben wir doch nicht besonders viele getötet, oder?"

„Nein. Kaum.", bestätigte Zerodyme. Der Namenlose hörte still zu, den Kopf immer zum Redenden schwenkend. Doch nun sprach keiner mehr, sie beide waren in Gedanken. Der Namenlose setzte ein enttäuschtes Gesicht auf.

„Wirklich...seid ihr so naiv?"

„Was?", fragten sie gleichzeitig.

„Was kümmert euch ein unbedeutender Orden, eine winzige Gruppe...die Welt führt Krieg! Wie könnt ihr euch um eine solche kleine Gruppe kümmern, wenn es doch möglich ist, dass Maros Warnung eintrifft, dass diese Welt und die Meinige parallele Geschichten haben. Es mag noch Jahrhunderte dauern, bis die Wüsten die Welt verschlingen, doch was sind Jahrhunderte schon? In meinen Augen ist ein kurzer Traum, eine Augenblick, den man versehentlich vergisst. Und mit steigendem Alter wird es euch nicht anders ergehen. Aber der Tod der Welt wird ewig währen."

„Ich frage mich immer noch, warum sie Krieg führen? Die Fürsten müssen doch sehen, dass keiner die Oberhand gewinnen wird.", bemerkte Bellkur kritisch.

„Das Menschenleben ist zu kurz, um die Sinnlosigkeit des Krieges zu begreifen und unsere Leben zu lang, den Krieg einfach zu ignorieren. Was kümmern die kurzen Pattsituationen?"

Bellkur wusste nichts zu antworten.

„Ich war einmal...nein...zweimal in solchen Kämpfen, in Kriegen. Ich will nicht mehr.", sagte Zerodyme.

„Kind.", sagte der Namenlose, schlängelte sich um Zerodyme und Bellkur. „Der Krieg fragt nicht danach, ob ihr mit ihm tanzen wollt. So ist es nun mal."

Der Namenlose schlängelte wieder weg. Er formte seine Macht, die beiden Drachen sahen, wie inmitten der Landschaft eine Verzerrung entstand, ein Spalt. Verdreht und verschwommen konnte man Landschaften dahinter sehen.

„Was tut ihr?", fragte Zerodyme. Sie ahnte es bereits.

„Ich bin in einer Hinsicht deiner Meinung, Kind. Es gab genug Kriege. Also gehe ich an einen Ort, wo ich keine Kriege erleben muss."

„Ihr...ihr lasst uns im Stich!?", rief Bellkur wütend aus, trat näher. Auch wenn ihm der Namenlose unangenehm war, der Gedanke daran, mit ihm zu kämpfen, hatte in seiner Brust ein Gefühl der Sicherheit hinterlassen.

„Dem ist wohl so, Bellkur." Der Namenlose schaute hochmütig auf sie herab. „Ich habe genug Kriege gesehen, Jahrhunderte könnte ich allein mit Erzählungen ausfüllen und dabei hätte ich mich kurz gefasst."

„Ihr könnt doch nicht..."

„Oh doch, ich kann, ich werde. Ich bin hierher gekommen, doch nicht direkt von meiner verstorbenen Welt. Ich habe einen anderen Ort gefunden, einen, der der Ewigkeit vorbehalten ist. Und dorthin gehe ich." Er wandte sich zum Tor.

„Elender Feigling!", brüllte Bellkur. Er konnte kaum sehen wie schnell sich der Namenlose umwandte, da stieß schon seine Schnauze an die Bellkurs. Er konnte überdeutlich den stinkenden Atem riechen, gefüllt mit Giften und Säuren, die er mit seinem Blut an Maro übergeben hatte.

„Feige? Mag sein. Doch bedenke eines. Ich bin der Namenlose. Man nennt mich so, weil mein Alter alles sprengt. Ich habe es nicht erreicht, weil ich mich jederzeit nach dem nächsten Rivalen umsah, sondern weil ich eines beherzigte. Es ist besser eine Sekunde lang feige zu sein, als ein Leben lang tot. Dies und meine Erfahrungen machten mich zu dem was ich bin. Was auch geschieht, ich werde weiter existieren, weiter und weiter und weiter und selbst das Ende allen Seins werde ich überdauern! Ich kam nicht, um euch in eurem Kampf zu unterstützen. Ich wusste nicht einmal von diesem Kampf, bevor ich es von euch erfuhr. Ich kam, um mich zu verabschieden. Und nun gehe ich, werde euch dennoch ein kleines Licht geben, dem ihr folgen solltet." Der Namenlose wandte sich wieder ab, ging zum Spalt. „Sammelt die Drachen. Sammelt euer Volk und bringt die Herrschenden zur Vernunft. Versucht nicht, sie einander ausbluten zu lassen, denn es wird misslingen. Entweder sie schließen freiwillig Frieden, oder ihr vernichtet jene, die herrschen, denn gegen alle Armeen werdet ihr nicht bestehen können, nicht, nachdem sie Zwerge als Schmiede haben."

„Ihr...", flüsterte Zerodyme. Der Namenlose sah zu ihr. „...ihr feiger HUNDSFOTT!!! RÄUDIGER KTER!!! DA KOMMT IHR, MIT GROßEN WORTEN!!! DAS IST ALLES? EIN PAAR WEISE WORTE, EIN PAAR SÄTZE, AUF DIE EIN BAUER HÄTTE KOMMEN KNNEN? NARR!!! FEIGER GALGENVOGEL!!! LASST EUCH NIE WIEDER BEI MIR BLICKEN!!! GEHT MIR AUS DEN AUGEN!!!" Sie brüllte ihren Zorn, nun wortlos, ihm entgegen und er hörte sich schmunzelnd ihren Ausbruch an.

„Ohh...meine kleine Flamme...wie ich dieses Feuer vermisst habe, diese Vulkane des Zorns...wärest du einige Ewigkeiten älter und ich einige Ewigkeiten jünger, ich wäre dir sofort verfallen und hätte dir hier und jetzt einen Antrag gemacht."

Zerodyme war sprachlos vor Wut.

„Doch Maro sagte es euch bereits. Der Goban hat nicht das Recht zu entscheiden, wo die Schlacht stattfinden wird. Die Steine haben nicht das Recht zu entscheiden gegen wen und wo sie kämpfen werden. Nur der Spieler hat den Luxus zu entscheiden ob, wann und wo gekämpft werden soll. Und ich entscheide mich dafür, einen anderen Spieler an den Goban zu setzen. Ich habe genug Partien gehabt. In diesem Sinne, viel Glück."

Der Spalt riss, der Namenlose verschwand, die Landschaft entzerrte sich, wurde wie vorher. Er war fort. Ein Satz, leicht ätherisch, durch Magie einige Momente gehalten, erscholl danach.

Sagt Maro, sein Feuer ist mehr Gift als Flamme.

Bellkur hielt es für besser, Zerodyme in Ruhe zu lassen. Auch er war wütend, doch sie schien zu kochen. Sie ging im Kreis, fluchte in Gedanken, er konnte aus ihren Nüstern Rauch aufsteigen sehen. So wütend war sie, dass sie kaum ihr inneres Feuer kontrollieren konnte.

„So ungern ich es zugebe...er hat vermutlich Recht. Wir müssen etwas unternehmen.", sagte sie zu Bellkur. Dieser nickte nur, sich nicht sicher welche Folgen ein Wort haben könnte.

„Fliegen wir zu Maro. Wir sollten miteinander beratschlagen.", schlug Bellkur nach einer Weile vor. Zerodyme nickte kurz angebunden. Sie stiegen in die Luft. Zerodyme sah sich um, aber die Armeen wichen selbst den dünnsten Ausläufern des Waldes aus. Sie war beruhigt. So schnell würde keiner ihr Heiligtum betreten. Mithilfe einiger gut inszenierter Leichen von Wagemutigen und auch vereinzelten Drachentötern hatte sie die Angst weit geschürt.

Sie flogen durch die Nacht, doch obwohl ihre Sinne ihnen sagten, es sei sternenklare Nacht, denn die Luft war leicht und kühl, so konnten sie das Firmament doch nicht sehen. Rauchwolken, Säulen, wie gemeißelte Stützen einer phänomenalen Halle, stiegen aus Städten empor, ja ganze Felder brannten hell und schemenhaft konnten sie die dunklen Schatten einander erschlagend sehen.

Wie sinnlos., dachte Bellkur, betrachtete all den Tod von so vielen, die nur leben wollten, doch getötet wurden von jenen, deren Gier keine Grenzen kannte.

Kapitel 3: Bellkur, der das Chaos betrachtet

Aufmerksam las Bellkur die Inschrift links von dem großen steinernen Tor.

Der Geist ist eine Klinge. Halte sie scharf.

Der Körper ist ein Schild. Halte ihn stark.

Das Wissen ist Macht. Mehre und teile es.

Es handelte sich um die drei Grundsätze des freien Ordens, bei dem Maro nun seit einem Jahr lebte. Ein jeder Mönch musste auf sie schwören. Der Älteste, Bellkur erinnerte sich gerne daran, hatte versucht Maro für seinen Orden zu gewinnen, denn er kannte Maros Ehrverständnis. Er würde nie sein Wort brechen.

Doch Maro hatte nur gelacht.

„Weshalb sollte ich? Reicht es nicht, dass ich euch mit meiner Anwesenheit beglücke, eure Kinder im Kampfe unterrichte, sie rechnen und schreiben lehre, sie zu körperlicher Ertüchtigung bringe und ihnen Disziplin einflöße? Da verlangt ihr, ich solle ein Gelübde auf eine Siedlung schwören, welche zerfallen wird durch die Zeit, während ich noch nicht einmal Spuren des Alters bemerke?"

„Doch unsere Regeln sind weise und dienen der Allgemeinheit."

„Das interessiert mich aber nicht."

Der Älteste hatte verständig genickt, doch die Drachen hatten durch seine Maske sehen können.

Nun war es ein Jahr später, Bellkur und Zerodyme hatten Maro mit derselben Regelmäßigkeit von einigen Wochen besucht, so hatte er auch sie gerne gesehen, wobei er und Bellkur sich nur in Zerodymes Wald trafen, denn Bellkur hielt es nicht mehr lange an einem Ort aus.

Sie durchschritten das große Tor, die Mönche gingen mit gesenkten Häuptern auseinander. Einige Kinder spielten umher, Bellkur beäugte sie mit schmalen Augen. Er konnte kleine Kinder nicht ausstehen. So laut, so nervtötend. Zerodyme schien sich daran nicht zu stören. Zielstrebig ging sie voraus, auf den geschotterten Wegen entlang hoch zu der großen Holzhalle. Die Wege kreuzten, gingen ab zu malerisch eingemauerten Gärten, kleinen Häusern und einem länglichen Gebäude, welches eine Schule und Kirche zugleich war. Dies alles wurde eingefasst von einem gepflegten Wald, in dem das Gras hoch wuchs und die Blätter sich noch grün im Wind wiegten. Zerodyme und Bellkur hatten beide nicht besonders viel für menschliche Bauten übrig, doch sie gaben zu, dass diese Siedlung ein Bild des Friedens und der Harmonie war.

Maros Halle hatte einen großen Steingarten und egal wie oft Zerodyme ihn wie unabsichtlich durcheinander brachte, immer wieder ordnete Maro die weißen Kieselsteine zu fantasievollen Wellenformen an. Manchmal, selbst wenn Zerodyme die Steine in Ruhe ließ, zerstörte er selbst seine eigene Kunst, indem er in Gedanken verloren darüber ging. Manchmal glaubte sie, er wolle sie damit nur aufziehen oder dass ihm schlicht langweilig war. Vielleicht war es aber auch nur die Arbeit, der Frieden, den diese Arbeit mit sich brachte. Bei näherer Betrachtung wunderte es die beiden nicht, denn Maro hatte sein ganzes Leben in Kriegen und Kämpfen verbracht. Es war nur allzu logisch, sich einen friedlichen Ort zum Ausruhen zwischen den zahlreichen Aufträgen zu suchen.

Maro war in der Halle und die Drachen betraten sie durch den weiten Eingang. In der Halle, mit den Rücken zu ihnen, waren zehn Kinder, sie mussten etwa zwischen zwölf und vierzehn Jahre alt sein. Maro stand vor ihnen, in seiner Hand einen langen Bambusstab. Die Kinder führten synchron eingeübte Kampfbewegungen aus, sprangen vor, ließen ihre Übungswaffen schnell kreisen. Einen schlug der Stab in die Seite, er ließ ihn fallen. Hastig hob er ihn auf, warf einen entschuldigenden Blick zu Maro, der diesen Fehler mit einem ablehnenden Schnauben quittierte. Er sah auf, erkannte Zerodyme und Bellkur. Er hob die Hand, befahl seinen Schülern aufzuhören.

„Meine Schüler, wir haben heute zwei Gäste bei uns. Dreht euch um und begrüßt Meisterin Zerodyme und Meister Bellkur."

Die Kinder taten wie ihnen geheißen, verbeugten sich tief und sagten laut zum Boden. „Guten Tag, Meisterin Zerodyme. Guten Tag, Meister Bellkur."

Maro schickte sie fort, erklärte den Unterricht für heute für beendet. Sie stellten ihre Stäbe ordentlich an der Wand ab und liefen schnell, aber diszipliniert hinaus. Erst draußen stellte sich Geschrei ein, dass Bellkur augenblicklich auf den Geist ging.

„Schön euch zu sehen. Wie geht es euch?", begrüßte sie Maro, auf sie zukommend und dabei seine Übungswaffe weglegend und seinen Speer von der Wand nehmend. Sie gingen zusammen nach draußen. Es schien ihnen, dass sich Maro mit der Zeit langsam veränderte. Seine Flügel waren sichtbar größer geworden, er entwickelte vier längere Fangzähne und wenn Bellkur seine Zunge beim Reden sah, fiel ihm immer mehr auf, dass sie mehr violett, als rot erschien. Er konnte sich nur den einen Reim darauf machen, dass, obwohl Maro bei seiner Verwandlung bereits erwachsen gewesen, dies aber noch nicht in Drachenjahren war und somit sich immer noch veränderte.

Neben der Halle hatte Maro eine weite Wiese, mehrere Steinbänke standen dort im Halbkreis angeordnet. Die Drachen legten sich nieder, Maro setzte sich in einen Schneidersitz.

„Wir müssen reden, Maro.", sagte Bellkur. „Ich habe auf meinen Reisen einiges gesehen."

„Ich höre."

Lange erzählte Bellkur, redete davon, wie sehr sich Quarchras über seine Schätze gefreut hatte und wie viele Armeen in den Landen herumliefen. Als Maro nach Details fragte, schüttelte Bellkur den Kopf verneinend. Er wusste nicht mehr, welche Fürsten Krieg führten. „Wo ist Rachkurius denn? Ist er wieder in seinem Garten?", fragte Zerodyme in die Stille hinein, die Bellkurs Erzählungen folgte und meinte damit einen kleinen eingemauerten Bereich, in dem der alte Krieger allerlei Gemüse hochgezogen hatte.

Maro schüttelte den Kopf, deutete wortlos nach links in den Wald. Vor einem Baum war ein frischer Erdhügel, auf ihm lag das Schwert von Rachkurius. Die Scheide lag längs auf der Erde, während die Klinge das Kopfende des Grabes bekreuzigte. Bellkur und Zerodyme wandten ihren Blick wieder Maro zu, doch er zeigte nicht die geringste Gemütsregung. Bellkur überschlug im Kopf rasch die Zahlen und kam zum Ergebnis, dass es maximal drei Wochen her sein konnte.

„Was ist geschehen?", fragte Zerodyme mit aufrichtigem Mitleid. Sie hatte sich von den dreien am besten mit dem alten Krieger verstanden, was wohl aus der beiderseitigen Liebe zur Natur herrührte. Maro ließ sich sehr lange Zeit mit seiner Antwort.

„Rachkurius war ein außergewöhnlicher Magier, selbst für unsere Maßstäbe als Drachen. Er war nicht so stark wie Vanitasus, aber dennoch...er vermochte mich mit einem Bannzauber zu belegen, der mir die Bewegungsfreiheit komplett raubte. Er hat es geschafft, die Zeit in einem kleinen Gebiet zu verlangsamen. Seine Antimagischen Siegel waren perfekt und fehlerlos...er konnte sogar die Schwäche und Narretei, die mit dem Alter einhergeht, versiegeln und so jung und stark und bei scharfem Geiste bleiben. Aber das Alter tatsächlich aufhalten...nein...dazu war er nicht in der Lage."

„Das tut mir leid, Maro.", sagte nun Bellkur. Traurig zog er seinen Schweif enger zusammen und legte den Kopf auf den Boden. Er hasste es, über den Tod naher Freunde nachdenken zu müssen. Es betrübte ihn sehr.

„Es tut mir nicht leid.", wehrte Maro ab. „Er war alt, er hatte ein gutes und langes Leben und sein Tod kam schnell und schmerzlos. Dahingehend hatte er ein Glück, dass manch ein anderer auch gerne gehabt hätte...und ich habe zu viel gemordet, um noch Trauer empfinden zu können. Mach deinen Zug, Bellkur."

Bellkur sah auf. Neben ihm stand ein Goban, Maro hatte bereits einen Stein gesetzt.

Seit wann steht der denn da?, fragte sich Bellkur überrascht. Auch Zerodyme hatte ihren Augen etwas weiter geöffnet. Sie hatte auch nichts gesehen. Bellkur sah wieder zu Maro, dessen Gesicht ruhig und gelassen war. Er schien wirklich nichts, keine Trauer, zu empfinden. Bellkur sammelte seine Gedanken, ließ einen weißen Stein aus der Schale schweben und setzte ihn auf das Brett. Er spielte immer so. Seine Klauen waren einfach zu groß, um die Steine zu halten, hingegen waren Maros Hände gerade noch nicht zu groß, aber groß genug damit es lächerlich aussah, wenn er die winzigen ovalen Steine zwischen seinen Krallen hielt. Ein Umstand, mit dem sich die Drachen gegenseitig gerne aufzogen.

Zerodyme stand auf, ging zu dem Grab und setzte sich davor nieder. Sie gedachte ihres Freundes. Bellkur ebenso. Nach wenigen Zügen hatte er aufgehört zu setzen, die Augen schlicht geschlossen. In ihm keimte rasch der Gedanke, dass es unhöflich gegenüber Maro war, andererseits zeigte er keine Gefühle für Rachkurius, keine Trauer, nichts. Seine Aura, seine Magie, war ohne Spuren, so stark und beständig wie immer, während er in seiner und Zeros Kraft deutlich die Erschütterung fühlte.

Er öffnete die Augen wieder, Maro saß mit verschränkten Armen vor ihm, sah zum Grab, die Augen halb geschlossen.

„Er hat immer unter diesem Baum gesessen. Stundenlang manchmal. Ich habe ihn nie gefragt worüber er nachdachte.", flüsterte Maro in die Ruhe des Moments. Bellkur begriff, dass diese Stärke nicht als Schein war. Maro, der Krieger, wollte sich keine Blöße geben, keine Schwäche zeigen. Das Fehlen der Gefühle war nichts als eine Maske. Die konstante Kraft seiner Aura war zu perfekt. Er trauerte um seinen Freund.

Sie kamen nach einer Weile wieder zum Thema zurück. Was sollte getan werden? Maro war für einen Kampf, doch er sah ein, dass die Armeen einfach zuviel waren, zumal es sich nur um Soldaten, meistens einfache Befehlsempfänger, die nur taten, was ihnen befohlen wurde und keine Spur Patriotismus in der Brust hatten. Zerodyme freundete sich schnell mit dem Gedanken an, einige Adlige an der Spitze der Länder auszuschalten. Ein merkwürdiges Glimmen erschien dabei in ihren Augen, dass den anderen beiden nicht ganz geheuer war. Bellkur seinerseits dachte über eine friedliche Lösung nach. Wenn den Menschen klar gemacht werden würde, wie sinnlos ihr Kampf war, wenn sie nur begreifen würden, dass diese Kriege sie ständig schwächten und das Land verzehrten, was letztendlich ihnen wiederum schaden würde, dann wäre Frieden möglich. Er hatte prinzipiell nichts gegen einen Kampf, nein, es juckte ihn geradezu, sich wieder auf einige Drachentöter zu stürzen, aber es war ein sinnloses Morden. Daran verlor auch der blutrünstigste Drache irgendwann seinen Spaß. Über diese Gedanken erinnerte er sich.

„Maro, ich vergaß. Wir erzählten dir doch, der Namenlose habe uns besucht und wieder verschwunden." Zerodyme zischte, Bellkur entschied, dass es besser war, nicht auf sie einzugehen, denn ihr Zorn suchte immer noch ein Ventil.

„Ja. Und?"

„Er sagte uns noch, wir sollten dir eine Nachricht überbringen. Dein Feuer ist mehr Gift als Flamme. Das sollten wir dir sagen."

Maro sah ihn fragend an.

„Das?", fragte er verdattert. „Was soll das denn?"

„Das wissen wir nicht. Du vielleicht?", fragte Bellkur zurück. Maro schüttelte den Kopf. Er wollte antworten, aber Bellkur und Zerodyme schnitten ihm mit einem warnenden Zischen das Wort ab. Eine Sekunde später waren sie sich sicher. Das Schicksal würde ihnen die Entscheidung ob Kampf oder nicht abnehmen. Maro schärfte seine Sinne, er spürte sie jetzt auch.

Einige Menschen standen vor den Toren der Siedlung. Ihre Gedanken waren feindselig.

„So hört doch..."

„Wir wollen ihn sehen, alter Mann! Tretet zur Seite oder ihr zwingt mich..."

„Wozu? Wollt ihr einen wehrlosen Greis erschlagen?"

Maro trat aus dem Schatten der Bäume. Die Masse der Mönche machte sofort Platz, denn Zerodyme und Bellkur folgten ihm. Im offenen Tor stand ein junger Mann mit einer Eskorte. Er trug einen reich verzierten Helm, Gold prangte auf seiner Rüstung. Sein Gesicht wurde von keiner Narbe verunstaltet. Seine Haltung zeigte den Drachen, dass dieser Jüngling wohlbehütet aufgewachsen war, keine Ahnung von der Realität eines Kampfes hatte. Der Mann nahm seine Hand vom Schwertgriff, beäugte die Drachen feindselig.

„Mein Vater ist der Herr über diese Ländereien. Wir fordern sie ein, sowie die Dienste derer, die sein Land bewohnen."

„Hm?", machte Bellkur.

„Das ist eine Zwangsrekrutierung.", erklärte Maro dem Avial leise. „Wie er aussieht, will er mich und dann die jungen Mönche in seiner Armee." Zerodyme hob auf ihre einzigartig spöttische Weise eine Augenbraue, betrachtete die Leute kritisch. Den drei Drachen ging wortwörtlich derselbe Gedanke durch den Kopf. Die wollen ihn zwingen? Die und welche Armee?

Bellkur sah hinter den Burschen, als metallisches Geklapper ertönte. Eine Gruppe Drachentöter stand außerhalb der Mauern, packte gerade Waffen mit grausamen Widerhaken aus einer Kiste, die an einer Kutsche hing.

„So wollt ihr ganz sicher gehen, dass er euch anschließt?", fragte Bellkur den jungen Mann und trat vor. Seine Erscheinung erweckte Eindruck bei den Umstehenden, war Bellkurs Erscheinung doch wesentlich majestätischer als Maros. „Ihr habt eure Eskorte, ein paar Drachentöter...und sonst nichts? Damit wollt ihr ihn zwingen, während seine Freunde und Wegbegleiter bei ihm sind und ihm im Kampf beistehen werden? Könnt ihr euch ausmalen, wie närrisch euer Ansinnen ist?"

„Mein Vater..."

„Ist einem Drachen egal!", unterbrach ihn Bellkur ruhig, aber bestimmt. „Er ist nicht mein, noch Zerodymes oder Maros Herr und auch nicht der Herr eines religiösen Ordens, der sich in keiner Weise für den Krieg interessiert. Dieser Orden steht unter dem Schutz der Drachen und wir heißen euer Ansinnen nicht gut. Bei Gott, um mit eurem Grüppchen fertig zu werden bräuchte Maro nicht einmal seine Magie oder seinen Speer, geschweige denn, ihr wolltet es mit uns dreien gleichzeitig aufnehmen! Und nun geht, Bursche, bevor ich eurem hübschen Schönlingsgesicht einige schlecht heilende Kerben verpasse oder Maro euch über das Knie legt und euch mit der flachen Klinge ein paar über den Arsch zieht! Und das nächste Mal, wenn ihr euch anmaßt unsere Treffen oder den Frieden der Mönche zu stören, so bittet gefälligst um eine Audienz, wie es sich für einen Gast eines so ehrenwerten Ortes gehört!"

Die Stille war perfekt, aber Bellkur brauchte sich nicht umzusehen, um zu wissen, dass Zerodyme mit sich selbst kämpfte, um nicht laut loszulachen oder dass Maro beim Anblick des wütenden Bürschchens seine Waffe fester packte, ein kampflustiges Glänzen in den Augen.

Ein alter Mann, gekleidet in eine schwarze Kutte trat von hinten an den Burschen heran, hielt ihn mit einer Hand auf der Schulter zurück, als dieser wieder nach seinem Schwert griff. Er flüsterte ihm ins Ohr, packte seine Schulter fester, verneinend. Der Junge wandte sich um, ging mit wehendem Mantel. Seine Wache folgte ihm, nur die Drachentöter zögerten ein Weilchen, schauten gierig unter ihren Helmen und Hauben hervor zu den Drachen, in deren Gesichtern die Herausforderung geschrieben stand.

Als sie außer Sichtweite verschwanden, trat Maro an Bellkurs Seite.

„Danke, mein Freund. Hätte ich ihn handhaben müssen, wäre das anders ausgegangen."

Bellkur antwortete mit einiger Verzögerung: „Gern geschehen, Maro, aber es muss nicht immer im Kampf enden."

„Ich hätte ihm nie und nimmer nur die flache Klinge über den Arsch gezogen."

„Kann ich mir vorstellen...mein Freund."

Bellkur kannte die Drachentöter bereits aus seiner Welt, aus der er vor über zwei Jahren herausgerissen worden war. In Maros Welt, in der er einige Monate gelebt hatte, hat es kaum welche gegeben, was aber auch dem Umstand zu Schulden war, dass sie als ausgestorben galten. Nur wenige hatten je einen Drachen dort gesehen und da er von Maro wusste, dass nahezu alle Drachen dort Leviathane, wie der Namenlose, gewesen waren, wunderte ihn das nicht. Hingegen war das Gefühl der ständigen Bedrohung in Zerodymes Welt fast wieder vertraut und merkwürdigerweise unterschieden sich Erscheinung und Waffen der Drachentöter kaum von denen aus seiner Welt.

Dennoch, obwohl die Gruppe heute den Schwanz eingekniffen hatte, fühlte Bellkur eine Bedrohung von diesen Menschen ausgehend. Der Orden der Drachentöter war wieder aktiv geworden, soviel war ihm klar. Seine Mitglieder scharten sich um die Fürsten, nahmen an Schlachten zumindest passiv teil. Sie gingen wieder ihrer Berufung nach. Dennoch machte all dies einfach keinen Sinn. Wieso versteckten sie sich erst, verschwanden für fast ein Jahr komplett von der Welt, nur um jetzt so massiv wieder aufzutauchen? Sie mussten wissen, dass sich diese Nachricht unter den Drachen rasch verbreiten würde und Bellkur wusste, wie die Drachen traditionellerweise mit solchen etwaigen Bedrohungen umgingen. Es machte schlicht keinen Sinn, zumal sie unmöglich vorhersagen könnten, wer in diesen Pattsituationen des Krieges die Oberhand gewinnen würde. Wahrscheinlich schlossen sie sich deshalb verschiedenen Fürstenhäusern an, aber im Zweifelsfall würden sie vielleicht gegeneinander in die Schlacht ziehen...das konnte auch nicht sein.

Bellkur bereitete diese Sinnlosigkeit Kopfzerbrechen. Sosehr er sich anstrengte, er konnte in diesen Bemühungen nirgends einen roten Faden finden, ein sinnvolles Ziel. War der Orden vielleicht zerbrochen, aufgesplittert in viele kleine Gruppen, die nun um die Vorherrschaft kämpften? Dann wiederum würde das alles Sinn machen, aber Bellkur kannte den Orden zu gut. Seine Hierarchie war streng durchorganisiert, sie hielten zusammen. Solidarität war ihr wichtigster Grundsatz und zudem wussten sie, dass sie nur in der Masse gegen Drachen siegen konnten und nicht als Einzelne. Eine Aufsplitterung des Ordens war also auch unwahrscheinlich.

Irgendjemand hielt die Stränge im Hintergrund und er tat dies wesentlich gerissener als Vanitasus vor einem Jahr. Warum diese Fixierung auf Drachen aber erneut bestand, darüber hatte Bellkur nicht den geringsten Zweifel. Es ging erneut um ihre Haut, im wortwörtlichen Sinne. Wie auch in Maros und seiner eigenen Welt galt hier, die Schuppen eines Drachen bilden die stärkste Rüstung, seine Knochen und Hörner bilden geschmiedet die besten Waffen und massenweise besondere Fähigkeiten wurden ihrem Blut nachgesagt.

Die ersten zwei Punkte konnte man nicht als Humbug abtun, denn tatsächlich hatten die Nordlinge, wie Maro selbst einer war, sehr harte Schuppen und nahezu keine weichen Stellen, an denen ein einfaches Schwert Verletzungen verursachen könnte. Würde ein Zwerg die Schuppen in einen Schild oder eine Rüstung schmieden, es wäre vermutlich der beste Schutz den Menschen jemals kriegen konnten. Dass Knochen die mächtigsten Waffen bildeten, war genauso eine Tatsache. Der beste Beweis befand sich in Maros Händen, sein Speer, den er den Himmelstod getauft hatte. Die Waffe war nicht etwa geschmiedet, wie Bellkur von Zerodyme gehört hatte, sie war aus dem reinen, ungebrannten Horn des Namenlosen. Nichts in der Welt, kein Zauber und kein ätherischer Sturm konnten dieser Waffe überhaupt einen Kratzer zufügen oder seine rasiermesserscharfe Klinge abstumpfen, abgesehen von Maros eigenen Klauen, die dieselbe Härte hatten.

Lediglich die Sache mit dem Blut war ein Märchen. Abgesehen von Maro hatte Bellkur weder gesehen noch gehört, dass jemals etwas Besonderes mit einem Menschen geschehen war, wenn sie das Blut eines Drachen getrunken hatten. Im Falle Maros konnte sich Bellkur sogar bildhaft vorstellen, was danach geschehen würde, denn er konnte durch die Magie die starken Gifte in seinem Blut zirkulieren fühlen.

„Bellkur? Bist du noch da?"

Bellkur zwinkerte verwirrt, tauchte aus seinen Gedanken auf. Maro schaute ihn schief an, beide saßen wieder in Maros Garten. Zerodyme neben ihm lächelte spitz, die Augen verschmitzt zugekniffen.

„Entschuldigt. Was habt ihr gesagt?"

„Ich habe dich gefragt, ob wir dem Rat des Namenlosen zu folgen gedenken?"

„Hmm...ich habe keine Lust diesem feigen Hund Recht zu geben...aber er hat Recht. Allein werden wir nichts tun können. Wir sollten andere Drachen um uns scharen."

„Und dann?", fragte Zerodyme. „Sollen wir uns hinstellen und ihnen sagen aufzuhören? Diese Narren werden auf uns zu rennen, geblendet von der Gier. Das wird nichts bewirken, außer, dass sie sich gegen uns vereinen."

„Da gebe ich ihr Recht.", bemerkte Maro.

„Aber nicht...", erwiderte Bellkur, „...wenn unsere Macht sie überwältigt. Der Soldat mag dumm sein, der Befehlshaber ein unerfahrenes Jüngelchen wie der Bursche vorhin, aber niemals der General. Der Leiter der Armee ist stets, und nie habe ich eine Ausnahme von dieser Regel gesehen, erfahren und klug. Wenn er eine Front aus Drachen sieht, eine Armee, wird er sich jedem Befehl widersetzen und aufgeben. Die Soldaten folgen üblicherweise seinem Beispiel. Wir könnten sie fliehen lassen, nach Hause, zu ihren Familien, denn die Soldaten sehnen sich meist weit weg von ihrem momentanen Leben, oder was meinst du, Maro?"

„Das Leben als Soldat ist grundsätzlich scheiße.", bestätigte der Drache.

„Was danach übrig bleibt sind die Dummen und die von Stolz Geblendeten. Die Armeen würden durch eine Demonstration unserer Macht zerschlagen, fast ohne Blutvergießen."

„Das hört sich denkbar an.", sagte Zerodyme nachdenklich. „Doch wie alle Drachen versammeln? Ich kenne einige wenige, aber sie leben weit verteilt. Zudem müssten wir uns einen Treffpunkt ausmachen. Einen Ort an dem es genug Nahrung und Platz für alle gibt."

„Denkst du wirklich, dass alle Drachen den Ernst der Lage erkennen werden?", fragte nun Maro Bellkur. „Es ist doch nun mal so, dass wir zu Selbstüberschätzung und Gottkomplexen neigen. Würde ich nicht wissen, was ich weiß, und es nur von irgendjemanden gesagt bekommen, ich hielte ihn mit Sicherheit für verrückt."

„Doch damals in deiner Welt sind doch auch alle Drachen dem Ruf des Namenlosen gefolgt.", wandte Bellkur ein.

„Das sind sie, aber die Gefahr war greifbar, die Macht des Ordens war allgegenwärtig. Das war eine ganz andere Situation, als jetzt. Zudem genoss der Namenlose einen äußerst bemerkenswerten Ruf in der Welt. Viele Geschichten scharten sich um ihn."

„Anhand dessen was ich von ihm gesehen habe, waren sie vermutlich erfunden.", antwortete Bellkur mit enttäuschter Stimme.

„Vermutlich.", gab Maro mit schlichtender Stimme zu.

Bellkur stand auf, öffnete seine Flügel halb. „Ich werde es dennoch versuchen. Es scheint mir die einzige Möglichkeit, wenigstens einige Drachen zusammen zu rufen. Warten können wir uns nicht leisten. Ein guter Sammelpunkt wäre die Ebene Trstre, eine Tagesreise nördlich von Zerodymes Wald. Dort gibt es massenweise Wild. Genug für hunderte Drachen."

Maro nickte bestätigend.

„Also gut.", sagte nun Zerodyme. „Ich fliege weit nach Norden. Weit hinter Vanitasus's Schloss. Dort kenne ich einige Drachen. Sie werden hoffentlich eher geneigt sein, sich uns anzuschließen."

„Dann reise ich weiter nach Süden.", sagte Maro, „Meine Aufträge brachten mich schon manches Mal dorthin. Ich kenne zwar nur drei Drachen in diesen Gefilden, aber ich werde hoffentlich mehr für unsere Sache finden."

„Dann bleibt für mich der Westen.", bemerkte Bellkur abschließend. „Im Osten kommt bald das Meer und dahinter viele Tage lang nur Wasser. Im Westen hingegen, dort ist das Wort von vielen Drachen."

„Dort ist aber auch das Wort von vielen Kämpfen.", gab Maro zu bedenken.

„Die werde ich schon überleben."

Die Drachen flogen los. Die Mönche sahen hinterher, betrachteten den Horizont. Der Älteste von ihnen spürte den Sturm heraufziehen.

Kapitel 4: Bellkur, der das Unaussprechliche regiert

Es heißt, in der Nacht sind alle Katzen grau. Dasselbe trifft auf Drachen zu. Ob blau, grün, klassisch rot oder tiefschwarz, gefiedert oder geschuppt, groß oder klein, in der Nacht werden sie alle gleich. Die Drachentöter unterscheiden nicht mehr, ob es ein lohnendes Ziel ist, oder ein wertloser Jungdrache. Sie sehen alle gleich aus.

So kam es, dass einige Drachentöter einen Schatten am Himmel sahen, die Wolken durch das Feuer des Krieges in dunkles Orange getaucht. Sie bereiteten ihre Waffen, feuerten Bolzen und Netze. Der Schatten wand sich schnell, wich geschickt aus, doch das Netz war feinmaschig und schwer. Ehe er es kommen sah, schlugen die schweren Gewichte hinter ihm zusammen, wickelten den Schatten ein und ließen ihn stürzen. Die Magier der Drachtöter waren sofort da, bauten mächtige Schilde, die die wütende Magie des Drachen blockierten, die stark genug waren, der sich umher werfenden Bestie zu widerstehen. Ein Antimagier sprang auf den Drachen, befreite seine Kräfte, worauf die eingeschmiedeten Zeichen auf den Gewichten des Netzes zu leuchten begannen. Durch ein unsichtbares Gewicht wurde der Drachen zum Boden gerissen, unfähig sich zu bewegen. Seine Magie schwand, von dem Antimagier zerstört.

„Wir haben ihn!", rief einer von ihnen, hielt seine Waffe siegreich in die Luft. Er betrachtete seine zischende Beute näher, sah die Hörner, die Schuppen, die breiten Flügel, den Speer.

„Das ist Maro!", sagte einer von ihnen überrascht. Stille in der Gruppe. Sie glaubten nicht, welcher Fang dies war. Der große Maro, ins Netz gegangen. Siegesgeheul wurde eingestimmt. Maro versuchte vergeblich, sich in die Höhe zu stemmen, brüllte vor Zorn, doch die Magie, die ihn gefangen hatte, war einfach zu stark. Selbstbewusst näherten sie sich, wissend, dass sie eine wertvolle Beute hatten.

Vier Männer waren notwendig, den widerspenstigen Drachen zu transportieren. Der Anführer der Gruppe genoss es, ihm langsam und in aller Ausführlichkeit zu beschreiben, was er mit ihm tun würde. Maro brüllte ihn an, versuchte mehrmals ihn zu beißen, aber seine Zähne kamen nicht gegen das magisch verstärkte Drahtgeflecht an.

Sie brachten ihn in eine nahe Höhle, warfen ihn in einen weiten, aus dem Stein gehauenen Raum und verschlossen die Eisentore. Der Boden wurde von einem Siegel grün erleuchtet. Maro konnte deutlich die Fehler in der Zeichnung sehen, aber die Kanalisation der Antimagie war sehr stark. Er versuchte, nun da die Menschen weg waren, das Netz zu zerreißen, aber zwecklos. Eine Kralle hielt ihn fest, schnitt ein Loch in das Drahtgeflecht, aus dem Maro sich endlich, nach Stunden der Enge, befreien konnte. Er drehte sich zu seinem Helfer um. Es war Bellkur.

„Du?", fragten beide gleichzeitig. Maro sah sofort, dass sie wesentlich härter mit dem Avial umgesprungen waren. Seine Federn sahen zerzaust aus, die Armbänder und seine Kette waren ihm, genau wie Maro sein Speer, weggenommen worden und er hatte zahlreiche Striemen und Kratzer.

„Was ist...wie bist du denn hierher gekommen?", fragte Maro, der zuerst die Fassung wieder fand und es vermied, auf die zahlreichen dünnen Narben an Bellkurs Handgelenken zu sehen. „Dünnmaschige, mit offensichtlich zielsuchenden Ballistenbolzen abgeschossene Netze, starke Antimagiesiegel und zwanzig Leute die mich unbedingt hier drin haben wollten. Ende.", antwortete er schlecht gelaunt, sich in einer Ecke des großen Raumes niederlegend.

„Hersk´r! Sênothrar sjôcha dei virilaens!", brüllte Bellkur, rief noch einige weitere Worte. Maro wusste nicht, was es bedeutete, aber er nahm an, dass Bellkur fluchte. Er ging zu ihm, setzte sich neben seinen Kopf. Beide Drachen starrten missmutig zur Tür.

„Kannst du sie nicht einreißen?", fragte Maro.

„Nein. Zu stabil. Meine Magie ist weg. Und wenn sie den Raum betreten, wird dieses Siegel zu einem Bannzauber, der uns fesselt. Wir können nichts tun."

„Tss...und da ist das nur so eine kleine Gruppe. Fünfundzwanzig habe ich gezählt. Könnten wir sie überwältigen, dann könnten wir sie nach ihren Auftraggebern ausfragen."

„Ja. Wie viele Lager hast du gezählt?"

„Fünf."

„Sieben."

„Ziemlich viel für einen halben Tag."

„Die sind einfach überall." Bellkur schüttelte seinen Kopf, knurrte wütend. „Ich schwöre, wenn ich hier rauskomme, dann..." Er ließ den Satz unvollendet.

Maro stand auf. Er ging zu den Eisentoren, welche mehr als zehn Meter hoch sein mussten. Diese Höhle musste schon seit langem existieren. Er sah die vielen Kratzer am Eisen, kleine Dellen, wo sich Bellkur vermutlich gegen geworfen hatte.

„Was werden sie mit uns machen? Sie hätten uns an Ort und Stelle töten können."

„Hmm...", machte Bellkur. „Was wohl? In Ruhe, in einem Versteck, lassen sich unsere Haut und Knochen wesentlich besser verarbeiten. Sie werden uns wohl kleine Wunden zufügen, um möglichst viel Blut von uns abschöpfen, solange wir noch leben...und uns dann töten. Es heißt, das Blut eines lebenden Drachen sei wertvoller."

Maro sah auf seinen Arm, sich vorstellend, wie sie versuchen würden, einen Dolch durch die Schuppen zu rammen. Ihm war aus irgendeinem Grund nach Lachen zumute. Da waren sie los geflogen, nur um Stunden später ihre Leben enden zu sehen.

„Du hast es da noch gut.", murrte Bellkur nach einer Weile weiter. „Dein Blut werden sie nicht abschöpfen. Es ist giftig und das wissen sie mit Sicherheit. Ich hingegen bin ein Avial. Ich weiß gar nicht, welche Fähigkeiten alle meinem Blut nachgesagt werden. Es sind sehr viele." Bellkur sah zur Wand, seine Augen waren dunkel in die Ferne der Vergangenheit gerichtet. Seine Gedanken zogen Kreise, immer verzweifelter wurden sie. Es gab keinen Ausweg aus dieser Situation. Keine Magie, keine Hinterhaltsmöglichkeit, keine Bewegung.

„Was sollen wir tun?", flüsterte er im Selbstgespräch, den Kopf schüttelnd, zwecklos versuchend die Gedanken, die ihm jeden Mut raubten, zu vertreiben. Er war hier. Maro war hier. Nur Zerodyme schienen sie nicht gefangen zu haben.

Und es war meine Idee., dachte er, Wären wir nicht los geflogen, hätten wir gewartet, sie hätten uns nicht gefangen. Wären wir doch bloß zusammen geblieben, in einer Gruppe, wären wir doch nur zusammen gereist... Verdammt! Es ist meine Schuld, meine Schuld...nur meine...

„Bellkur."

Er drehte sich zu Maro. Er sah nicht mal die Faust kommen. Bellkurs Kopf wurde zur Seite gerissen, aber Maro packte ihn sofort an den Hörnern, hielt ihn fest, beide Gesichter nur Zentimeter voneinander entfernt.

„Jetzt hör mal gut zu, Freundchen. Ich habe mich nicht vor Jahren auf die Suche nach Drachen gemacht, mit dem Ziel, einer zu werden, damit ich jetzt in diesem Loch verrecke! Ich bin sehr wütend und habe keine Lust deinem Palaver zuzuhören, wenn du schon aufgegeben hast! Lass dir was einfallen! Ich habe partout nicht vor, hier zu sterben!"

„Ruhe da drinnen, oder habt ihr beide noch einen letzten Spaß!", rief eine Stimme von draußen. Gelächter schallte leise durch das Metall. Maro schloss kurz die Augen, unterdrückte mit Mühe eine Antwort.

„Und jetzt eben, Bellkur habe ich riesige Lust bekommen, dem, der das gesagt hat, weh zu tun. Sehr weh zu tun. Also lass dir was einfallen! Reiß dich zusammen!"

Maro ließ los. Bellkur zwinkerte verwirrt, fühlte sich plötzlich wach. Noch nie hatte jemand so mit ihm gesprochen. Maro hielt ihm warnend den hoch erhobenen Zeigefinger vor die Augen.

„Und wehe du denkst überhaupt daran den Schlag zu erwidern. Ich beiß dich und dann wollen wir mal sehen..." Er stockte, schaute auf seine Hand, schaute wieder zu Bellkur, die Augen im plötzlichen Erkennen aufgerissen.

„Das ist es.", flüsterte er. „Eine Falle."

Bellkur wollte antworten, aber Maro hielt ihm die Schnauze mit Gewalt zu. Leise flüsterte er in sein Ohr. Bellkurs Augen, vorher dunkel begannen vor Begeisterung zu glänzen.

Der Antimagier schnippte mit den Fingern. Er spürte, wie sich das Siegel im Inneren des Raumes schlagartig änderte. Er hörte durch das Eisen laute Flüche. Er öffnete das Tor, mit ihm kamen drei andere. Zwei trugen eine große Wanne, der Andere trug kleine Karaffen.

Sie näherten sich ohne Angst den gelähmten Drachen. Beide zischten, fixierten sie mit ihren Augen.

„Na? Wütend?", fragte der Antimagier, seinen Dolch ziehend. Beide Drachen knurrten. Ihre Blicke versprachen den Tod. Der Magier sah zwischen ihnen hin und her. „Ihr wollt keine Worte mehr verlieren? Na fein. Tresis, töte Maro. Kar, die Wanne."

Tresis, ein Mann wie ein Schrank, zog ein großes Schwert und ging zu Maro. Kar, vom selben Körperbau, platzierte die Holzwanne an Bellkurs rechten Arm. Der Antimagier zog mit seinem Dolch über Bellkurs Handgelenk, durchschnitt die vielen dünnen Narben mit einer dünnen, flachen Wunde. Langsam floss das dunkle Blut. Der Avial knurrte, versuchte sich zwecklos gegen das Siegel zu stemmen. Tresis begann auf Maro einzuschlagen, seine Klinge zog Funken, als sie auf die harten Schuppen traf. Dennoch stöhnte Maro vor Schmerz, denn das Schwert war schwer. Der Mann holte immer wieder aus, schlug immer wieder zwecklos zu, es genießend, dem Drachen mehr und mehr Schmerzen zuzufügen.

Einer der Männer, der Jüngste, füllte etwas von dem Blut in die Karaffen. Nahm selbst einen kleinen Schluck. Er grinste spöttisch Bellkur an, herausfordernd. Er lief hinaus, das wertvolle Blut unter den Männern verteilend.

„Sei glücklich.", sagte der Antimagier, der neben Bellkurs Arm kniete. „Dein Blut wird hunderte unseres Ordens von allen Leiden heilen. Mehr noch, da du ein Avial bist, wird unser Meister in deinem Blut baden, um die Unsterblichkeit zu erlangen."

Bellkur knurrte, durch das Siegel, welches seinen Kopf an den Boden klebte, unfähig zu antworten. Der Antimagier tauchte eine kleine Schale in die Wanne und ungerührt von den Schreien Maros, dem jetzt Tresis mit einer schweren Keule zu Leibe rückte, trank er aus vollen Zügen. Bellkurs Augen verengten sich zu dünnen, hasserfüllten Schlitzen, die auf eine Art und Weise starrten, wie es nur Drachen vermochten.

Der Antimagier stutzte, eine Minute lang passierte nichts, doch plötzlich griff er sich an die Kehle, keuchte, röchelte. Die einsetzende Schärfe in seinem Rachen, gefolgt von benebelnder Bitterkeit raubte ihm das klare Denken. Sein Magen rebellierte, er kotzte. Sein Geist versagte, konnte sich kaum wach halten, doch das war genug. Das Siegel flackerte einen Moment.

In diesem Moment, ein Augenblick, nicht mal zwei Sekunden lang, sprang Maro auf, packte Tresis am Arm, grub seine Zähne hinein, stützte sich mit einem Bein an dessen Seite ab und riss ihn ab. Sich überschlagendes Geschrei folgte. Bellkur sprang gleichzeitig auf, packte den Antimagier und warf ihn quer durch den Raum gegen eine Wand, wo er mit dem Kopf voran aufprallte und tot zu Boden rutschte. Das Siegel verschwand. Tar, vor Verblüffung nur Bellkur anstarrend, reagierte nicht einmal, als Bellkur ihn auf den Rücken warf, und sein Vorderbein mit aller Kraft auf ihn stemmte.

Die Drachen sahen sich einen Moment an, bevor Maro wieder in die Knie ging. Er hielt sich die Seite, fluchte unflätig. Bellkur kam heran, bot ihm seinen Arm an. Maro stützte sich auf ihn, kämpfte sich wieder auf die Beine. Er sah Bellkurs stark blutende Wunde, hielt seine Hand daran. Mit seiner dunklen Stimme summte er eine Melodie, die Bellkur unbekannt war, und beschwor seine Magie. Die Wunde schloss sich schnell. Maro kniete nieder, hielt seine Hand an Tresis Wunde, ließ auch dort die Blutung versiegen. Der jammernde Drachentöter schaute ihn auf großen Augen an, schwer atmend, Hoffnung im Blick.

„Wir haben noch einiges vor uns.", versprach ihm Maro bösartig lächelnd. „Und bei unserem zweiten Rendezvous zeige ich dir...dein Innerstes." Er lachte auf eine widerliche Weise. Wieder brauchte er Bellkurs Arm, um aufzustehen. Er hielt sich die Hand auf Bauch und Seite, stets Wassermagie beschwörend, seine Wunden heilend, doch seine Fähigkeiten waren nicht mal annähernd so gut wie die Zerodymes.

Sie gingen aus dem Tor, sahen in den großen Versammlungsraum, in dem mehrere Feuer brannten und fünfundzwanzig Lager ausgebreitet waren. Überall lagen Leute herum, hielten sich den Bauch, wanden sich in ihrem eigenen Erbrochenen.

„Das ist...", stöhnte der nächste Drachentöter, „...wie...was habt ihr..."

Bellkur und Maro sahen sich aus Augenwinkeln an, auf eine für Drachen übliche, einzigartige Weise lächelnd.

Etwa eine halbe Stunde zuvor.

„Ich hab die Idee, Bellkur. Aber mach keinen Mucks, kein Wort, sie lauschen vielleicht, deswegen flüstere ich. Mein Blut ist giftig, sie werden mich versuchen zu töten, aber ich kenne sie. Sie werden einfach nicht widerstehen können, mich zu foltern. Und dein Blut ist unglaublich wertvoll. Wir haben es mit gierigen Menschen zu tun. Die werden es selbst trinken, denn es heilt angeblich von allen Gebrechen, ja, wer darin badet, und verkneif dir ja ein Lachen, soll ewiges Leben kriegen. Sie werden also selbst...kosten. Folgendes also: Ich werde dich beißen. Keine Angst, ich werde nur eine kleine Menge Gift injizieren, zu wenig, als das du daran sterben könntest. Anschließend heile ich die Bisswunde. Dieses Gift wird dein Blut für einige Tage kontaminieren und es damit recht giftig machen. Wenn ich alles richtig mache, werden die Menschen lange leiden. Lange genug, damit wir sie ausgiebig befragen können."

Bellkur schob seinen Kopf etwas hoch, flüsterte kaum hörbar zurück.

„Gibt es ein Heilmittel? Wenn nicht, wieso sollten sie uns irgendetwas sagen?"

„Es gibt ein Heilmittel. Zumindest, wenn man der Logik folgt, dass die Hoffnung zuletzt stirbt."

Bellkur nickte, erkannte die Hinterhältigkeit in Maros Blick. Es steckte ihn an. Maro beugte sich vor, griff nach Bellkurs rechten Oberarm.

„Das wird jetzt wehtun. Beiß die Zähne zusammen." Bellkur tat, wie ihm befohlen, dennoch musste er sich zusammenreißen. Maros Zähne waren messerscharf und er spürte augenblicklich brennen in seinen Adern. Maro zog seine Zähne wieder heraus, wobei seine Fangzähne tiefe Wunden hinterlassen hatten. Er hielt seine Hand auf die Wunde, summte leise. Sein Zauber hinterließ nicht einmal Narben als Spuren.

„Wann hast du Wassermagie gelernt?", fragte Bellkur leise.

„Vor einem halben Jahr. Es ist der Seelenbund. Langsam erlerne ich...", weiter kam er nicht. Bellkur zuckte zusammen, von heftigen Kopfschmerzen getroffen. Ihm wurde schwindlig.

„Was..."

„Alles gut.", beschwichtigte Maro ihn. „Bleib liegen. Das flaut innerhalb der nächsten Minuten ab. Mehr als eine gewisse Übelkeit wird bei der geringen Dosis nicht bleiben."

Bellkur legte sich auf den Boden, atmete tief durch. Die hämmernden Schmerzen klangen schnell ab. Als sie fort waren fragte er, „Was ist, wenn es zuwenig für die Menschen ist?"

„Keine Sorge Bellkur. Drachen haben eine gewisse Gifttoleranz. Davon kann der Mensch nur träumen."

Weiter kamen sie nicht. Die Runen leuchteten auf, rissen sie zu Boden.

Die Drachen wandten sich wieder den Drachentötern zu.

„Das geht euch nichts an. Wichtig ist, dass wir euch heilen können.", sagte Bellkur. „Ja ihr seid vergiftet und ihr werdet daran sterben. Und ihr werdet noch lange leiden. Aber wir könnten euch tatsächlich heilen. Also...wer möchte reden?"

Er sagte das in einem freundlichen, geradezu lächerlich höflichen Ton, als würden einige Zechbrüder beratschlagen, wer die nächste Runde Bier ausgab. Maro setzte sich, seufzte erschöpft. Bellkur sah sich besorgt um, aber Maro deutete mit einer offenen Hand auf die Drachentöter, ein Gesicht aufsetzend, wie ein Operngast, der erwartete, dass die Vorstellung endlich begann.

Bellkur ging in die Halle, trat vorsichtig zwischen den Drachentötern auf. Er suchte einen jungen Mann aus, dem ein Ohr fehlte und dessen Haar mit einem Pferdeschwanz nach hinten gebunden war. Er hob ihn mit einer Hand hoch.

„Du hast mir zwei Federn ausgerissen.", sagte Bellkur.

Der Mann schüttelte den Kopf.

Bellkur nickte.

Der Mann schüttelte den Kopf.

Bellkur nickte.

Der Mann schüttelte den Kopf.

Bellkur stupste mit der Schnauze in dessen Bauch. Zwei lose hinten in den Gürtel gesteckte Federn, fast so lang wie ein menschlicher Arm, fielen herunter. Bellkur nickte.

Der Mann schüttelte, nun wesentlich schneller, den Kopf.

„Einer von der vergesslichen Sorte. Dann erlaube mir bitte, deinem Gedächtnis ein wenig auf die Sprünge zu helfen." Bellkur trug ihn nach hinten, in den großen Raum und schloss eines der beiden Eisentore, so, dass man nicht sehen konnte, was er da machte. Aber nach nur wenigen Minuten waren die einundzwanzig Gesichter vor Maro noch weißer, denn hysterisches Geschrei erfüllte die Halle. Reißen, sie hörten ein ekelhaftes Klatschen, das markante Geräusch von brechenden Knochen, doch sehr oft erklangen die Schreie ohne ein lautes Vorgeräusch. Maro beugte sich ein wenig nach hinten, den Rücken an die Wand lehnend. Er hatte sich so hingesetzt, dass er zusehen konnte.

„HE! Du da hinten!", rief er nach einigen Minuten, zum Ausgang der Halle auf einen Menschen deutend, der sich auf allen vieren davonzumachen versuchte. „Bleib liegen oder ich mache mit dir das, was er gerade mit ihm macht und dann wirst du garantiert nie mehr eine Frau ansprechen." Der Mann blieb gehorsam liegen.

Nach knapp einer Stunde kam Bellkur wieder aus der Halle heraus. Seine Hände und sein Maul waren voller Blut.

„Also Freunde.", leitete er höflich ein, scheinbar die Unschuld in Person. „Ich habe den Jungen nichts gefragt...zugegeben, er ist nicht dazu gekommen zu reden. Es ging mir nur um meine Federn. Kommen wir zum wichtigen Teil. Wer hat euch beauftragt? Wieso habt ihr euch so lange versteckt? Entweder ihr singt jetzt, oder ich nehme mir zufällig einen von euch und der wird dann schlimmeres erleben als der Junge. Und lasst euch gesagt sein...", seine Stimme wurde zischend. „...wenn ich will, bin ein so guter Folterer, dass ihr mir nicht nur eure, sondern auch meine und..." er deutete auf Maro, „...seine Geheimnisse verraten werdet."

Bellkur legte eine Pause ein, wartete, doch niemand sprach. Sie alle lagen nur am Boden, atmeten schwer, durch den Schmerz paralysiert. Bellkur zuckte mit den Flügeln. Er pickte sich aufs Geratewohl einen heraus, nahm ihn mit. Maro stand auf, etwas fester auf den Beinen. Er vergewisserte sich, dass keiner der Drachentöter entkommen würde, nutzte seine Windmagie, um eine Barriere vor dem Eingang zu errichten, die jeden umwarf, der sich näherte. Dann ging er auch hinter, ignorierte Bellkur, der gerade tief aber sehr langsam die Handflächen seines schreienden Opfers aufschnitt. Er setzte sich vor Tresis, der geschockt zu Bellkur sah. Durch seine Schmerzen war er immer noch nicht aufgestanden, hatte vermutlich wie in Starre die ganze Zeit Bellkur zugesehen.

„Wie geht's?", fragte Maro, betrachtete den Stumpf, an dem mal der Arm des Mannes gewesen war.

„Er...er hat...er...ihn...Arm...Bein...Bauch...er...gefressen..." Seine Lippen zitterten, seine Stimme brach, blanker Horror.

„Ja das hat er. Wir haben schon eine Weile nichts mehr gehabt.", sagte Maro, Bellkur zusehend, wie er sich geduldig das wortlose Geschrei anhörte, nur um dann ein Bein zu packen und es brutal herumzureißen.

„Und deswegen bin ich jetzt hier. Sieh es...wie gesagt...als unser zweites Rendezvous. Dieses mal machen wir es mit Zunge." Sein Lächeln war die pure Bosheit.

Tresis starrte ihn an, holte Luft zu einem Schrei, aber Maro hielt ihn den Mund zu, dämpfte seine Stimme. Er packte mit seinem Maul den Stumpf seines Armes, biss zu, riss ihn ab. Geschrei folgte, von Sinnen schlug Tresis mit seiner verbleibenden Hand auf ihn ein. Maro packte seine Hand mit einer beiläufigen Bewegung, biss sie am Gelenk durch. Bellkur, zusehend, machte es ihm nach. Dann gab es für beide kein Halten mehr. Während Bellkur zielgerichtet, kontrolliert und mit System vorging, konnte Maro sich nicht mehr beherrschen. Er riss mit seinen Krallen das Gesicht von Tresis auf, riss lange Brocken Fleisch aus dessen Schultern, packte mit seinem Schweif dessen Beine und drehte sie solange mit aller Kraft, bis die Knochen dutzendfach gebrochen waren. Sehr bald verblutete Tresis.

Bellkur brach systematisch jeden Knochen, hielt die Menschen aber mit seiner Magie wach. Wenn er seine Krallen benutzte, dann versuchte er möglichst empfindliche Körperstellen aufzuschlitzen. Die Arme, die Hände, waren seine liebsten. Aber er hatte auch seine Kraft. Mehr als einmal packte er einfach den Menschen am Kopf und drückte hart zu, ohne aber den Schädel zum Platzen zu bringen. Die Schmerzen hätten ihnen die Sinne geraubt, doch Bellkur hielt sie immer wach, immer bei Bewusstsein. Einen anderen, der es gewagt hatte ihn anzuspucken, zündete Bellkur mit einer kleinen Flamme aus seinem Maul an, zügelte das Feuer, auf das es sehr lange brauchte, den Mann zu verbrennen. Zwei mal gelang es ihm, einem Drachentöter sein noch schlagendes Herz vor die Augen zu halten. Einen anderen, kleinen Mann, der auch an krankhafter Selbstüberschätzung litt und ihn, während er ihn von der großen Halle wegtrug, mit allerlei Flüchen bedachte, verschlang Bellkur ohne Vorspiel mit Haut und Haaren, stetig seine Magie beschwörend, damit der Mann in seinem Inneren atmen konnte. An dieser Stelle, als Maro bemerkte, dass der Mann nach fast zwei Stunden immer noch lebte, applaudierte er Bellkur anerkennend.

Der Wahnsinn dauerte viele Stunden. Und obgleich sie gefoltert wurden, auf eine Art und Weise die Worten und Beschreibung spottete, sagten die Drachentöter nichts über ihre Auftraggeber, warum sie so massiv auftraten, warum sie sich ein Jahr lang versteckt hatten. Und Bellkur war sehr erfinderisch, wenngleich er es in Sachen Brutalität und Zügellosigkeit nicht mit Maro aufnehmen konnte. Der nahm sich drei weitere Drachentöter vor, den Rest ließ er Bellkur.

Maro fügte ihnen eine Wunde nach der anderen zu, riss tiefe Kerben in die Arme, schlitzte den Bauch auf, nutzte seinen Speichel und verätzte die Haut bis auf die Knochen.

Bellkur war kontrollierter. Er brach gezielt, ritzte gezielt, mit dem Ziel, größtmöglichen Schmerz anzurichten, das Opfer aber so lange wie möglich leben zu lassen.

Der Tag ging bereits zu Ende, als Bellkur und Maro aus der Höhle traten. Gesättigt und erschöpft. Maro hatte seinen Speer wieder, an dessen glattem Schaft das Blut von seiner Hand langsam herunter lief. Bellkur streifte sich seine Armbänder über, seinen Anhänger trug er bereits wieder. Bellkur gönnte sich einen genaueren Blick auf Maro.

Sich selbst definierte Bellkur, trotz der Folter und seiner dunklen Gedanken, als einen guten Drachen, als einen, der im Sinne des Guten und der Allgemeinheit arbeitete, der nicht sinnlos mordete. Bei Maro war er sich nicht mehr so sicher. Er arbeitete auf seine Art, kannte nur sich selbst. Er hatte es in seinen Augen gesehen, die tropfende Dunkelheit, die seine Seele beinhaltete. So viel, dass Bellkur einen Moment gestockt hatte, befürchtend, die Dunkelheit könnte wortwörtlich Besitz von Maro ergreifen und ihn in einen Rausch von Dunkelschein treiben, was ihn zu einer unermüdlichen Mordmaschine gemacht hätte, die sogar Bellkur gefährlich geworden wäre.

Ja..., gab Bellkur in seinen Gedanken zu, ...Ich habe Angst vor ihm.

Maros gefährliche Augen, es war ganz passend, dass er statt einer Feuerlunge Giftdrüsen verwendete, die Hinterlist im Blick. Einen Moment lang fühlte sich Bellkur an den Namenlosen erinnert, an dessen Augen, die egoistisch waren, voller Hass und von solcher Kraft. Und an Maros Augen, die denselben Ausdruck gehabt hatten, als sie die Drachentöter folterten. Was wäre, wenn der Namenlose einen Teil seines Wesens einst auf Maro übertragen hatte? Was wäre dann? Könnte man ihm noch trauen, dem Drachen, dessen Name überall bekannt ist wegen seiner Kraft, Macht und Verschlagenheit? Er schüttelte den Gedanken fort. Maro bemerkte es.

„Was ist?", fragte er. Seine dunkle Stimme war freundlich, höflich und respektvoll, wie immer. Bellkur scheuchte die Gedanken endgültig fort. Es war Unsinn. Er brauchte Maro nicht zu fürchten. Zu viel fürchtete er in seinen eigenen Gedanken. Einen neuen Anfall von Dunkelschein. Die Erinnerungen. Die Finsternis, die in seiner Seele lauerte. Aber keine Freunde, das durfte nicht sein.

Dennoch blieb da der Zweifel.

Kapitel 5: Zerodyme, im Krieg vom Frieden träumend

„Glaubst du wirklich, Zerodyme, dass das stimmt? Dies ist eine...unwahrscheinliche Theorie. An parallele Universen glaube ich inzwischen, ich war ja selbst in einem, dennoch...eine ebenso parallel verlaufende Geschichte?"

„Ich verstehe auch nicht wieso oder wie, Traxas. Aber es ist ganz offensichtlich so. Ich habe Landstriche auf meiner Reise gesehen, früher, noch vor einem Jahr blühend und reich, die nun verwesen, zu Wüsten werden durch die ätherischen Stürme, die auf ihn gewütet haben. Traxas, glaube mir, die Berge nördlich von Vanitasus Schloss, das ganze Gebirgsmassiv von Zsena, alle Wiesen und Auen dort sind verschwunden. Dort gibt es nur noch Schnee und Sand."

„Es waren meine Jagdgründe, Zerodyme. Ich habe es gesehen."

„Wieso zögerst du dann?"

„In Kriegen werden immer wieder Landschaften verändert. Es ist absolut natürlich. Ätherische Stürme neigen dazu, zu töten und alles Leben in der Nähe langsam zu vernichten, auch das ist absolut normal. Irgendwann werden sich die vielen Fürsten gegenseitig ausgeblutet haben. Die Menschen vermehren sich wie Kaninchen, aber nicht so schnell, als dass sie die Gefallenen ständig ersetzen könnten. Es bringt nichts, jetzt einzugreifen. Wenn die Armeen geschwächt sind, sich hinter Türmen und Mauern verstecken, dann wird es Zeit zuzuschlagen. Dann werde ich mich mit allergrößter Freude um die Drachentöter kümmern, sie vernichten. Problemlos. Wie, frage ich dich, sollen denn die Fürsten die Streitmächte aufrechterhalten, die sie jetzt kontrollieren? Sie werden nicht ewig Felder verbrennen, Dörfer und Weiler zerstören und Städte einnehmen können. Die Gerste braucht Zeit, Dörfer werden selten wieder aufgebaut, da mit ihnen meist auch die Bewohner sterben und Städte werden mit der Zeit zu Ruinen. Und dann werden ihnen die Ressourcen ausgehen und wir Drachen können uns dann in aller Ruhe um die Drachentöter kümmern."

„Es geht mir nicht um die verdammten Drachentöter! Sie sind unwichtig! Fakt ist, dass die Armeen seit fast einem Jahr marschieren, mordend durch die Länder ziehen. Bevor ich zu dir kam, war ich noch bei zwei anderen Drachen, doch siehe da, sie sind tot, von Knochen und Haut befreit. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sie dich finden und du bist ein schlechterer Magier und Kämpfer als ich, Traxas. Du wirst nicht gegen sie bestehen. Dein Heil wird dann nur in der Flucht liegen...doch was, wenn du nicht mehr fliehen kannst? Wenn du in dieser Höhle bist? Sie werden dich finden, Traxas. Es dient deinem eigenen Wohl, dich mit anderen Drachen zusammen zu schließen. Nur wenn wir viele sind, werden wir siegen können!"

„Drachen kämpfen immer allein, Zerodyme. Wenn wir uns versammeln, wird es unweigerlich Streit geben und wir werden vielleicht sogar gegeneinander vorgehen."

„Das werden wir nicht. Es wäre töricht."

„Welche Macht sollte einen Drachen denn davon abhalten?"

Zerodyme antwortete nicht, begriff, dass sie auf Stein biss. Welche Macht? Der Namenlose kam ihr sofort in den Sinn, denn er hatte sie einst alle vereint. Doch er war fort. Sie wandte sich ab, ging enttäuscht zum Ausgang der weitläufigen Höhle.

„Wir werden uns vermutlich nie wieder sehen.", sagte sie zum Abschied. Sie öffnete die Flügel und flog in den blauen Himmel.

Weiter nach Süden führte ihr Weg, mehr östlich, in Richtung des Meeres. Lange blieb das Gebirgsmassiv ein malerisches Bild aus grün und weiß, mit Wolken und Nebeltälern durchsetzt.

Sie sah wieder eine Gruppe auf den Gebirgspfaden entlanggehen, Karren hinter sich herziehend. Entweder es waren Flüchtlinge oder Drachentöter. Zerodyme ging kein Risiko ein und versteckte sich hinter den Wolken, flog weiter in die Höhe. In der Ferne etwas abseits von ihrem Kurs, konnte sie das große Schloss von Vanitasus ausmachen. Sie sah genauer hin, als ein großer, in den Himmel stechender Turm plötzlich brach. Der Nebel um das Schloss war dicht, doch als sie näher kam, konnte sie Kanonenschüsse hören. Wieder wurde um diesen Prunkbau gekämpft.

Sie drehte ab, flog weiter Richtung Osten, über das verödete Gebirgsmassiv von Zsena hinweg zu den großen Wäldern am Rande des Sees.

Niemand hatte für diesen See einen Namen gefunden, selbst die zahlreichen Waldelfen und Nymphen, die in den gigantischen Wäldern um ihn herum lebten nicht. Der See war einfach nur der See. Eine riesige, phänomenale Scheibe Wasser, die keine Wellen schlug. Nichts, rein gar nichts, was auch immer man tat, sorgte dafür, dass sich das Wasser kräuselte, das es irgendetwas machte.

Zerodyme war schon oft hier gewesen.

Dieses Wasser war anders gewesen. Es hatte ihrer Magie widerstanden, sich dagegen gewehrt, als hätte es einen eigenen Willen. Es hatten keine Fische in dem Wasser gelebt, nicht einmal Pflanzen. Zerodymes Eindruck, das Wasser sei vielleicht zu salzig oder durch unterirdische Vulkane vergiftet, wurde enttäuscht. Es hatte geschmeckt, wie normales Wasser zu schmecken hatte.

Nun flog Zerodyme erneut zu diesem See, denn er lockte seit jeher Magier, Zauberer und Drachen an, die sein Geheimnis zu ergründen suchten. Dort hatte sie auch Traxas kennen gelernt, der, wie sie auch, die Theorie vertreten hatte, dass das Wasser durch einen ätherischen Sturm oder eine andere magische Katastrophe in seinen Grundbestandteilen verändert worden war und nicht mehr auf physische Einflüsse reagierte.

Ihr Erwartungen, grüne Wälder, große Wiesen, ein breiter, voller Blumen stehender Strand, Zauberer und Reisende aus der Ferne, wurden zunichte gemacht von vertrocknenden Bäumen, gelben Gras, Sanddünen und Knochen.

Sie landete auf einer Anhöhe, sah sich um. Zum letzten Mal war sie hier vor einem Jahr, kurz vor ihrem Abenteuer mit Maro und Bellkur, gewesen.

Das ist unmöglich., dachte sie, Das ist nicht wahr. Das kann nicht sein...

Das reiche, fruchtbare Land war innerhalb von so kurzer Zeit zu einer Steppe geworden, und selbst die kargen Boden und wenig Wasser gewohnten Pflanzen gingen ein.

Sie suchte einen Ort auf, eine Halbinsel, die in den See ragte. Sie wusste, dort hatte es eine kleine Siedlung der Elfen gegeben, in der man sie mit der so berühmten Gastfreundschaft empfangen hatte. Auch hier war nichts. Nur einige hölzerne, leere Hütten standen im Sand und trotzten dem Wind.

Störende Körner fanden den Weg in Zerodymes Augen, reizten sie. Als sie an das Wasser trat, um sich die Augen auszuwaschen, zuckte sie zurück. Ihre Nase witterte einen sanften Geruch, leicht und süßlich. Sie erkannte Faulgase, in einer so hohen Konzentration, dass es nicht mehr nach faulen Eiern stank, sondern nach undefinierbarer Süße duftete. Sie flog sofort los, dem Gas entkommend. Bereits nach wenigen Minuten legte sich ein leichter, weißer Schleier vor ihre Augen, eine Nachwirkung des Gases. Er verschwand bald darauf.

Zerodyme kreiste nun über dem See, breitete ihre Magie aus. Wieder konnte sie das Wasser nicht spüren. Wie ein Loch war es da einfach in der Landschaft und egal was Zerodyme versuchte, nichts schien dort zu sein. Sie forschte weiter. Der ganze See, überall dort schwebte das Faulgas. Unter der Erde waren Quellen, unterirdische Wasserströme und in ihnen konnte sie deutlich die Verseuchung durch verschiedene Gifte spüren.

Es scheint, es hat hier einen starken ätherischen Sturm gegeben., dachte sie nach, die Steppe unter sich betrachtend, die so friedlich da lag, Es gibt nur nirgends Waffen. Ich sehe weder Leichen, noch Armeen oder Fürsten in der Nähe. Dieses Land war schon lange in der Hand der Elfen und trotz seines Reichtums haben die Fürsten nie Interesse daran gezeigt. Keine Rohstoffe. Taktisch ungünstig gelegen. Was ist dann hier geschehen? Ein misslungenes Ritual? Möglich, aber die Elfen haben auch nie Interesse an solchen Dingen gezeigt. Sie wussten um die Gefahr, die von übermächtigen Zaubern ausgingen...was ist hier geschehen?

Nachdem sie stundenlang das ganze Gebiet abgesucht hatte, fand sie endlich ein Lebenszeichen. Ein einsamer Reisender, der sich träge vom See wegschleppte, nach Süden, in Richtung der großen Ost-West-Handelsstraße, die nur eine weitere Tagesreise entfernt war. Sie holte ihn rasch ein und landete dicht hinter ihm. Der Mann, sie erkannte durch die starke Aura einen meisterhaften Magier, nahm sofort eine Kampfpose ein, seinen Wanderstock schräg vor dem Körper, befreite seine Magie. Sie war schnell und kraftvoll, Zerodyme vermutete einen Feuer- oder Windmagier.

„Ich bin nicht gekommen, gegen dich zu kämpfen, Mensch.", sagte sie ruhig. „Ich will nur reden."

„Ha!", keuchte er ein Lachen hervor, „Ein Drache will nur reden? Welch Worte!"

„Ich gebe dir mein Wort, ich werde dir nichts tun, wenn du meine Fragen bean..."

„Das Wort eines Drachen!" Der Mann spuckte aus. „Es ist nichts wert!"

Zerodyme betrachtete ihn abschätzend, den Magier in seiner zerrissenen Kutte, aus gebrochenen, verzweifelten Augen schauend, hungernd und am Ende seiner Kräfte. Die Magie hielt ihn am Leben. Zerodyme konzentrierte ihre Sinne und spürte die Vergiftung im Blut des Mannes. Es musste von den Faulgasen stammen.

„Anderes Geschäft, Mensch. Ich heile dich und du erzählst mir was ich wissen will.", schlug Zerodyme vor. In den Augen des Magiers glomm die Hoffnung auf. Er setzte sich erschöpft, zog seine Magie zurück. Zerodyme näherte sich, hielt aber ihre Muskeln angespannt.

„Mein Name ist Ästhus, Drache. Was willst du wissen?" Zerodyme setzte sich, hielt inne. Sie erinnerte sich an den Namen, war sich aber sicher, ihm nie begegnet zu sein.

„Was ist hier geschehen?", fragte Zerodyme.

„Schwer zu sagen. Ich kam hierher, um...ein wenig zu forschen. Mein letzter Besuch an diesem See ist Jahre her."

„Wisst ihr nichts?"

„Ich kann nur vermuten. Unterwegs auf der großen Handelsstraße traf ich einige Elfen, die mir etwas von einem Zauberer und einem misslungenen Ritual erzählten. Ich maß dem nicht viel Bedeutung bei, ich erinnere mich nicht mehr genau."

„Wenn ich euch heilen soll, müsst ihr mehr sagen können.", half Zerodyme seinem Gedächtnis auf die Sprünge.

„Es gibt Spuren am See.", sagte Ästhus eifrig. „Magische Spuren, sehr fein. Seht, es mag ein ätherischer Sturm gewesen sein, aber ich habe noch nicht davon gehört, dass er das Wasser und das Land so weitläufig vergiftet. Ein solcher Sturm hätte kilometerweite Ausmaße haben müssen. Und ich war oft in der Nähe, ich denke, ich hätte es gespürt. Also bleibt für mich die einzige Möglichkeit. Irgendein sehr mächtiger Zauber ist nicht gar gescheitert, sondern gelungen und was auch immer er herbeigerufen oder beschworen hat, es hat dies hier ausgelöst."

„Was vermutet ihr, könnte so etwas auslösen?"

„Kein Elementargeist. Es wäre ungewöhnlich, dass er so etwas anrichtet. Selbst wenn der Zauberer über ihn die Kontrolle verloren hätte, er hätte ihn jederzeit wieder wegschicken können."

„Was wurde dann gerufen?"

„Etwas Böses.", antwortete Ästhus dunkel, zum See in der Ferne sehen. „Es muss etwas sein, das die ihm auferlegten Ketten eines Beschwörers zerreißen kann. Es gibt nicht viele Wesen, die eine solche Macht besitzen."

Zerodyme nickte. Beide sprachen es nicht aus, aber es gab eine Kreatur, die mit solchen Geschehnissen ganz besonders im Zusammenhang stand. Ein Dämon.

Zerodyme hielt ihr Wort und befreite den Mann von den Giften in seinem Körper. Gestärkt nahm er seinen Weg wieder auf und bedankte sich bei ihr. Sie flog ebenfalls zur Handelsstraße, hoffend, dort mehr zu erfahren.

Auf ihrer Reise wurde das Land langsam lebendiger, Wälder tauchten am Horizont auf und kamen schnell näher. Der karge Boden wurde bald eingezäunt, auf Feldern wuchs das Getreide. Hier in den östlichen Königreichen, war der Krieg noch nicht angekommen. Im Westen hingegen floss viel Blut. Zerodyme erinnerte sich, dass ihr Wald drei Fürstentümer voneinander abgrenzte. Lange würden die Schauergeschichten über die schwarze Bestie bestimmt nicht mehr vorhalten. Gier und der Mut der Masse würden sie in die Bäume treiben. Sie musste bald zurück.

In Sichtweite zu einem Handelsposten, der an der Gabelung mehrere Handelswege aus verschiedenen Fürstentümern lag, landete sie und stillte ihren großen Hunger in einer Rehherde. Nachdenklich und unschlüssig legte sie sich in die Nähe eines Feldes, zu der kleinen Ansammlung von Häusern am Rande der breiten Straße sehend. Sie sah zwei Drachen von dort in Richtung der untergehenden Sonne aufsteigen, es würde also keine Panik verursachen, wenn sie sich näherte. Dennoch, obwohl sie dieses merkwürdige Bedürfnis verspürte, zu dem Handelsposten zu gehen, hielt sie ihr Instinkt zurück und der hatte sie noch nie getrogen.

Zerodyme schloss die Augen und dehnte ihre Sinne soweit sie konnte. Sie war nicht geübt darin, ihre Magie so weit zu dehnen, ein Magier würde sie spüren, aber sie ging das Risiko ein.

Nach einer Weile hatte sie ein klares Bild. Es waren mehr als ein dutzend Menschen in der Schankstube, zwei von ihnen spielten Karten, ein Mann und zwei Frauen verteilten Bier, der Rest trank sich die Rübe zu. Die Gäste schienen alle Reisende zu sein, Zerodyme spürte zwar Waffen, aber keine Ausgefallenen oder eine große Anzahl davon. In den darüber liegenden drei Stockwerken des großen Hauses tummelten sich weitere Leute. Die meisten schliefen, einige waren ins Liebesspiel vertieft. Aber es gab keine Magier, es ging keine Gefahr aus.

Zerodyme traute diesem Frieden nicht.

Der Wirt wunderte sich nicht schlecht über die Frau, die seine Schänke betrat. Er hatte schon Magierinnen gesehen und auch Kriegerinnen und stets waren sie selbstbewusst, wunderschön und strahlten dieses gewisse Etwas aus. So auch die Frau mit schwarzer Haut, die knapp bekleidet und ohne Waffen sich einfach an den Schanktisch setzte. Sie hatte keinen Geldbeutel dabei, also stellte er ihr nichts hin. Er putzte weiter einen großen Pott und wartete. Die Frau schien es nicht zu stören. Sie legte den Kopf auf die Arme, atmete schwer ein und aus.

Eine erschöpfte Reisende., dachte sich der Wirt. Da sie nichts weiter bei sich hatte, nahm er an, man hatte sie ausgeraubt. Sie sah aus wie eine Halbblüterin. Solche waren gern gesehene Ziele für die Räuber.

Aber Zerodyme war weder ausgeraubt worden, noch war sie erschöpft. Sie lauschte, was geredet wurde. Irgendetwas zog sie an diesen Ort. Sie wollte hier sein, sie wusste selbst nicht warum.

Nach einer Weile, nachdem sie nichts außer unwichtigen Gesprächen mitgehört hatte und einigen vollkommen übertriebenen Berichten über den Krieg im Westen, ging sie wieder, verfolgt von einigen gierigen Blicken. Trotz ihres aufreizenden Äußeren hatte sich niemand an sie herangewagt. Eine Frau, die alleine reiste, war gefährlich.

Draußen sah sie sich um. Söldner und Händler, denen sie dienten, bestimmten das Bild. Der Handel schien nicht eingeschränkt, trotz des Krieges. Überall plauderte man, die Menschen gingen beschwingten Schrittes ihrem Ziel entgegen, ein Elf fragte Zerodyme höflich nach dem Weg nach Hioldon, einer Hafenstadt.

„Er liegt in der Richtung.", sagte sie und wies weiter nach Südosten. „Sagt, wart ihr in letzter Zeit bei dem See?"

„Nein. Ich komme aus Relias, weit im Westen. Ich war noch nie dort."

„Danke. Friede eurem Weg."

„Und auch dem eurigen.", verabschiedete sich der Elf, schulterte seine Tasche und ging.

Ratlos ging Zerodyme auf und ab. Sie wollte mehr wissen, mehr über all diese Geschehnisse am See, dennoch war sie hier und wollte hier bleiben.

Was, verdammt noch mal, reizt mich an diesem Bau?!, fragte sie sich wütend und drehte sich zu dem Handelsposten um, in dessen Fenstern nun langsam die Menschen das Licht löschten, denn die Nacht brach herein. Zerodyme griff sich verzweifelt an den Kopf. Was war mit ihr los? Es gab keinen Grund weiter zu verweilen, alles in ihr schrie danach, einfach los zu fliegen, diese menschliche Haut abzustreifen und die Schwingen gen Himmel zu strecken.

Warum tu ich es einfach nicht?! Je mehr sie es wollte, umso stärker wurde das Gefühl, dass ein Flug falsch sei, dass es besser sei, zu rasten. Einfach nur zu warten.

Die Reisenden blieben bereits stehen, sahen kurz zu dieser Frau mit schwarzer Haut, die sich die Haare raufte und hin und her ging.

„Kann ich euch helfen, junge Dame?", fragte sie eine Stimme. Sie drehte sich um, hatte bereits die Beleidigung auf der Zunge, da erkannte sie den Elfen, dem sie den Weg gewiesen hatte.

„Was macht ihr hier?"

„Ich...ich will nach Hioldon.", antwortete er perplex, „Ihr kennt nicht zufällig den Weg?"

„Aber...das habt ihr mich schon gefragt."

„Was?", lachte er, „Nein. Ich kenne euch nicht."

Da wurde es Zerodyme klar.

„Es ist nicht real.", flüsterte sie.

„Wie bitte?", fragte der Elf. Zerodyme wandte sich ab. Deshalb dieser Drang, dieser Unwille, fort zu gehen und dieses erneute Auftauchen des Elfen.

Ich bin in einer Illusion gefangen., erkannte Zerodyme. Es gab nur einen, der das getan haben könnte. Der Magier Ästhus. Deshalb nirgends Zauberer, deshalb. Man kann keine Aura imitieren. Irgendwann, als er mit mir geredet hat, muss er mich in dieser Illusion gefangen haben. Ich...ich muss hier raus!

Zerodyme erhob ihre Stimme, laut und schallend. Sie schickte ihre Magie aus, diffus und ohne Ziel. Sie lies ihr freien Lauf, versuchte nicht einmal sie zu kontrollieren. Ätherische Wirbel begannen den Raum zu verzerren. Zerodyme konnte sehen, wie die Illusion bröckelte. Dort flackerte ein Zaun, das Fenster des Handelspostens verschwand und tauchte plötzlich wieder auf, die Leute verschwammen, nahmen die Gefahr gar nicht wahr.

Die Illusion brach, sie hörte einen schmerzerfüllten Schrei.

Zerodyme fand sich in einem Eisennetz wieder, vollkommen eingeschnürt. Das Eisen war durch die brennende Sonne bereits heiß geworden, der Abend war noch fern. Drei Leute hatten das Netz gezogen, einer von ihnen war in die Knie gegangen. Er erbrach Blut und hatte hämmernde Kopfschmerzen. Zerodyme kannte die Nachwirkungen von einem derart gewalttätigen Illusionsbruch gut.

Sie knurrte, entfesselte die Winde und zerschnitt das einfache Eisennetz. Ehe die beiden Männer reagieren konnten, sprang sie sie an und tötete sie. Der Magier bemerkte es nicht einmal, als sie ihn von seinen Leiden erlöste.

Ihr einst glattes Federkleid war voller Sand, die Federn zerzaust. Sie starrte auf ihre getöteten Feinde.

„Ästhus.", sagte sie zu sich selbst und betrachtete den Körper, dem sie den Kopf geraubt hatte. „Jetzt erinnere ich mich wieder. Die Söldner, die Vanitasus damals nach mir, Maro und Bellkur ausschickte. Ich habe nicht mehr mit euch gerechnet."

Der enthauptete Magier und die beiden aufgeschlitzten Krieger erwiderten nichts.

Zerodyme ließ die Leichen im Sand liegen, sah sich um. Sie war noch in der Wüste und konnte die Schleifspuren des Netzes sehen. Allerdings sah sie diese in einiger Entfernung aufhören. Die Illusion hatte eine ganz andere Zeitrechnung gehabt, die Zeit war schneller vergangen als in der Wirklichkeit.

Meine Güte, diese Männer waren wahrlich schlecht vorbereitet., dachte sie spöttisch. Rachkurius ist an das ganze mit mehr Furcht und Stil rangegangen. Er hat sich vorbereitet. Allein aus diesem Grund war er mir sympathisch. Er hatte ab und an Angst vor mir, so wie es sich gehört.

Sie konnte nirgends am Horizont irgendeine menschliche Siedlung erkennen. Nie und nimmer hätten diese drei Leute es geschafft, ihren Körper so weit weg zu schaffen. Irgendwo musste das Ziel der Söldner sein.

Ob sie so schlecht vorbereitet waren? Nein...es ist versteckt...hier irgendwo unter dem Sand.

Zerodyme machte sich an die Suche.

Kapitel 6: Maro, Meister der Stille

„Sie waren mutig.", sagte Maro zu Bellkur. „Ich kann es ihnen trotz allem nicht aberkennen. Trotz unserer Folter haben sie nichts gesagt, keinen Ton. Wer auch immer ihr Auftraggeber ist, wer auch immer hinter ihnen steht, er macht ihnen mehr Angst, als wir es konnten."

„Diesen Gedanken...finde ich sogar etwas beleidigend."

Maro lachte. Beide gingen gemeinsam, Bellkur langsam, Maro schnellen Schrittes. Ihr Weg führte sie nach Süden, denn sie waren sich einig, dass sie zusammen sicherer waren. Vielleicht war die nächste Gruppe von Drachentötern nicht so klein, vielleicht waren sie schneller mit einem tödlichen Hieb bei der Hand. Maro war der Meinung, dass man sein Glück nicht unnötig strapazieren sollte.

So gingen sie gemeinsam durch die belebte Gegend. Viele Gehöfte lagen auf ihrem Weg. Nachdem sie einen ganzen Tag lang ihrer Rache nachgegangen waren, waren beide Drachen recht erschöpft. Zudem machten Maro immer noch die harten Schläge des Drachentöters zu schaffen, also gingen sie zu Fuß.

Am Abend rasteten sie in der Nähe einer Handelsstraße, wobei keiner von ihnen genau wusste, um welche es sich handelte. Eine kleine Gruppe Elfen, drei Männer mit ihren Frauen und zwei Kindern, hatten sich ihrem Weg angeschlossen.

Es waren Flüchtlinge. Ihre Stadt, eine Hafenstadt weit entfernt im Osten, Hioldon hieß sie, aber weder Maro noch Bellkur hatten je von ihr gehört, war vor mehreren Wochen vollkommen zerstört worden. Die Angreifer waren über das große Meer im Osten mit einer Armada Schiffe gekommen. Die Elfen wollten nach Westen, in eines der Fürstentümer, die von Elfen regiert wurden und dort ein neues Leben anfangen. Auch wenn Maro der Idee zuerst abgeneigt war, so stimmte ihn das Gold von einem Elfen um. Er war Meisterschmied in Hioldon gewesen und hatte vieles von seinem Gold retten können, darunter auch Edelsteine, wie das feine Geklimper Maros scharfem Gehör verriet.

„Du bist ein Bilderbuchdrache, weißt du das?", neckte Bellkur Maro, der immer wieder in den Geldbeutel griff und die schönen, aus reinem Silber geprägten Münzen gierig betrachtete.

„Das ist möglich.", gab Maro zu, die Münze zurücklegend. „Aber wenn ich eines gelernt habe, es ist immer gut etwas Geld zu haben. Man kann damit...manch einem Gedächtnis unblutig auf die Sprünge helfen."

„Nur das...sicher.", bemerkte Bellkur. „Alkohol spielt da keine Rolle, oder?"

Maro schüttelte gespielt unschuldig den Kopf. Bellkur seufzte, sah in das große Lagerfeuer, auf dessen anderer Seite die Elfen saßen und sich zwei gefangene Hasen brieten.

„Kennst du Karhul, Maro?"

„Du meinst Garul, die Bergst..."

„Nein.", unterbrach ihn Bellkur. „Karhul ist ein Getränk aus meiner Welt. Ich...vermisse es."

„Wie sollte ich es kennen?", antwortete Maro mit einer Gegenfrage. „Ich habe deine Welt nie gesehen."

„Da hast du was verpasst."

„Ansichtssache."

Bellkur lachte und warf ihn spielerisch mit dem Schweif um. Die Elfen aßen derweil, die Drachen begannen sich schnell zu langweilen, denn ihre Begleiter hatten schnell begriffen, mit wem sie da reisten und waren von einem Moment zum anderen sehr schweigsam geworden.

„Ich würde dir was auf meiner Flöte vorspielen, Bellkur, aber ich schätze, ich habe sie vergessen."

„Schade. Dann vielleicht ein Gedicht. Oder Gesang. Ich mag es, zu singen."

„Du schon, aber ich bin nicht geübt darin. Ich kenne allerdings ein gutes Gedicht, was mich meine Mutter einst gelehrt hat. Es ist eine Art...Denkspruch, wenn ich mich recht entsinne. Eine Weisheit, der Herrscher zu folgen haben, es aber damals nie taten."

„Lass hören.", forderte Bellkur ihn auf. Maro holte Luft, überlegte eine Weile, rief sich die lang schon nicht mehr ausgesprochenen Zeilen ins Gedächtnis.

Ich bin das Universum,

klarer Kristall ist meine Macht.

Herrschen, das werde ich müssen,

gütig und bedacht,

um eures Glückes Willen.

Preiset meinen Glanz,

dienet mir, meine Kinder.

Eine kraftvolle Flamme,

brennend voller Zunder,

das mein gnädiger Wille.

Lobet meinen Zorn,

denn er ist gerecht.

Fegend ist der Sturm,

der eure Feinde zerbricht,

ist der Wille in meinem Arm.

Ich bin der Glanz,

die Kostbarkeit aus der Mär.

Eine Seele wie Diamant,

bin ich ein gerechter Herr,

euch stets zu diensten.

„Das...war sehr schön.", sagte Bellkur. „Weise Worte."

„In der Tat."; antwortete Maro. „Es gab viele weise Worte in meiner Welt, viele große Denker, und dennoch, sieh was mit ihr geschehen ist."

„Ja. Dem ist auch hier so. Ich habe schon von vielen Gelehrten gehört und einige von ihnen getroffen, aber es herrscht trotzdem Krieg. Nun, lassen wir dieses Thema. Jetzt bin ich dran." Bellkur räusperte sich und begann.

Wer greift meine Hand,

nimmt mich in die Arme?

Wo ist nur der Strand,

in diesem Meer ohne Farbe?

Wer wird mich beschützen,

in dieser Welt, so kalt?

Was tut das Leben nützen,

wenn alles Geliebte fällt?

Große, prächt'ge Flügel schlagen,

mich stillschweigend dirigieren,

mich ans End' des Diesseits tragen,

wo nur Fried' und Ruh' regieren

Wie lang' ein Herz muss brechen,

bis schließlich ist nichts mehr da

und ich schlussendlich muss erliegen,

dieser endlos' Dunkelheit, immerwahr.

Da gibt's Dinge, kein Geld kann bescher'n,

die Gefühle der Zuneigung und Liebe.

Ich mich hier so sehne nach der Wärm',

wenn dies' Wunsch doch nur erfüllt würde.

Wer greift meine Hand,

nimmt mich in die Arme?

Wer nimmt mein Herz,

schützt es vor der Welt?

Stille folgte, als Bellkurs markante, dunkle Stimme langsam verklang. Der Avial schaute mit einsamen Augen in die Nacht, unerwünschte Gedanken schlichen sich in seinem Geiste langsam an.

„Das war wunderschön.", sagte einer der Elfen.

„Ein poetisches Meisterwerk.", stimmte ein anderer zu.

„...", widersprach Maro, ohne das Wort zu erheben. Er hatte die Trauer in Bellkurs Stimme fast körperlich empfunden und er spürte die Aura Bellkurs, klein und zurückgezogen. Der große Avial tat ihm Leid. Maro entsann sich, dass er fast nie über seine Vergangenheit gesprochen hatte. Schreckliches musste damals geschehen sein, denn immer wenn doch mal das Gespräch auf dieses Thema kam, wurden die Augen Bellkurs stumpf und sahen in eine unerreichbare Ferne..

Die Elfen überschlugen sich derweil in ihren Preisungen, entsprach die Versart doch ihrem Ideal. Maro dachte stattdessen, Es war schrecklich. Voller Schmerz und Verzweiflung. In Trauer getränkt. Bellkur...du...tust mir Leid.

Nun wusste Maro die Frage, die er dem Avial schon viel früher hätte fragen sollen.

„Bellkur...sag, wie waren die letzten Wochen für dich?"

„Oh...sie waren gut...sie...", Bellkur brach ab, als er zu Maro sah, dessen tiefe Augen in diesem Moment in seine Seele zu blicken schienen. Oft vergaß der Avial, da Maro keine solchen magischen Fähigkeiten wie er oder Zerodyme verfügte, dass er dennoch wesentlich feiner Sinne hatte. Er konnte den Satz plötzlich nicht mehr vollenden, fühlte sich plötzlich zu schwach. Er erinnerte sich an das Verschwinden eines Freundes, der Tod von Rachkurius, die Dunkelheit, deren flüsternde Stimme immer lauter wurde, die Träume in der Nacht.

„Es waren...ein paar harte Wochen."

Maro nickte, legte seinen Speer beiseite und öffnete seine Flügel. Er legte einen über die Flanke Bellkurs. Der Avial legte seinen Hals quer über Maros Beine, den Kopf auf die Erde. Maro strich vorsichtig über den dünnen Hautkamm an dessen Kopfende, Bellkur knurrte entspannt, genoss die seelische Wärme und die Ruhe in Maros Aura.

Die Nacht war tief, der Mond schien hell. Bellkur versank immer tiefer im Schlaf. Dennoch hörte er die dunkle, freundliche Stimme deutlich.

„Bellkur. Ich habe die Narben an deinen Armen gesehen und weiß woher sie stammen. Ich höre, wie du im Schlaf vor Albträumen davonfliegst, ich wache auf, wenn du schwer atmend aufschreckst...ich kenne diese Träume und ich trauere um dein Schicksal. Doch bedenke eines, Bellkur, bevor du dich entscheidest, deiner Sammlung eine neue Narbe hinzuzufügen.

Ich hatte nie einen Vater, sah meiner Mutter beim Sterben zu und war der Mörder Tausender, deren Gesichter mich noch heute heimsuchen wollen, mein Leben verlangen.

Doch eines gibt mir Kraft, genug Kraft, um diese Gesichter zu vertreiben und die Kälte, die mit ihnen kommt. Du und Zerodyme. Ihr seid die einzige Familie die ich noch besitze. Ein Freund und eine Freundin. Du darfst nicht deiner Angst und deiner Trauer zum Opfer fallen. Dir zuliebe. Und wenn dir das nicht reicht, mir und Zerodyme zuliebe. Du magst fern sein von deiner Welt und vielleicht wirst du nie Freunde und Verwandte wieder sehen, aber das darf dich nicht so weit treiben...nicht so weit, dass du versuchst, deinen Freunden das anzutun. Wir werden immer bei dir sein. Du hast mein Wort, ich werde alles tun, dein Leben zu schützen. Alles."

Der nächste Tag, Bellkur war aus einem traumlosen Schlaf aufgewacht. Erleichtert machte er sich mit Maro weiter auf den Weg, stets nach Süden gehend und von der schweigsamen Gruppe Elfen verfolgt. Verschwommen erinnerte er sich, jemandem zugehört zu haben, erinnerte sich, dass jemand ihm die Angst genommen hatte.

„Maro. Ich habe dir eigentlich noch nie etwas von meiner Welt erzählt."

„Dann erzähl, Bellkur."

Kapitel 7: Bellkur, das Kind der Dunkelheit

Die Elfen waren fort, waren geflohen, panisch in den Wald gerannt. Ihre Habe rollte den steilen Hang hinab, zerdrückte das kranke, sterbende Gras. Am Horizont tobten violette Blitze in dunkelgrünen, bläulich schimmernden Wolken und kristallener Regen fiel aus ihnen wie Hagel, während das Land von tobenden Windgeistern heimgesucht wurde und ein einsamer Schatten den Hang hinaufmarschierte.

Eine Kreatur der Finsternis war es. Weder Arme noch Beine schienen Form behalten zu wollen, sein Kopf wuchs und schmolz, seine Augen veränderten ihre Lage, schlossen und öffneten sich unabhängig.

Es blieb am Rande des Abhanges stehen und obwohl es empor sehen musste, starrte es die entsetzten Drachen nieder.

„Was ist das?", fragte Maro.

„Ein Dämon. Sei gewarnt, er ist gefährlich.", antwortete Bellkur.

Die beiden Drachen waren angespannt, denn sie spürten diese Dunkelheit um der Kreatur herum. Mehr noch als das spürten sie keinen Körper. Das Wesen schien nicht zu existieren. Maro suchte, kontrollierte den Wind, aber er flog wirkungslos durch den Dämon hindurch, dessen Körper nicht die geringste Notiz davon nahm.

Instinktiv erkannten die Drachen einen mächtigen Gegner und ebenso tat es der Dämon, auf ihre Reaktion wartend.

„Wie kommt man einem solchen Ding bei?", fragte Maro.

Nicht., antwortete der Dämon. Nein, kommt mir nicht bei. Noch habe ich nichts gegen euch. Noch sind wir keine Feinde. Er antwortete ohne Stimme, sie klang in ihrem Geist wider, echote vielfach. Sie hinterließ Trauer, Schwäche und eine Kälte glitt hinterlistig mit ihr mit.

„Oh doch.", widersprach Bellkur, vortretend und Maro mit seinem Körper deckend. „Hör nicht auf ihn Maro und sperr dich gegen seine Stimme. Er lügt. Ein Dämon hasst das Leben, denn sein angeborenes Element ist die Finsternis und nur mit ihr kann er vernichtet werden." Bellkur konzentrierte sich, entfesselte die Kräfte der Dunkelheit. Sofort versuchten sie seinen Geist anzugreifen, der Dunkelschein versuchte die Ketten zu brechen, doch sein Geist war stark. Er konnte den Dämon nun deutlich fühlen, die verzerrten Gliedmaßen und der sich ständig verändernde Körper, der ganz ohne Fleisch oder Organe auskam.

Lasst mich ziehen, Drachen. Noch habe ich nichts gegen euch., sagte der Dämon, versuchte ihre Gedanken zu befallen, ihnen die Kontrolle über sich zu entreißen. Auch wenn die Drachen wankten, ihr Wille war zu stark, als dass er ihn brechen konnte.

Bellkur schickte ihm seine eigenen Gedanken. Den Zorn über Tod, sinnlose Verwüstung, die Leben, die jetzt noch durch die ätherischen Stürme und die Trockenheit beendet wurden. Er empfing nur Spott als Antwort. Der Kampf war unvermeidlich.

„Halt dich zurück, Maro.", befahl er mit rauchgeschwängerter Stimme, während sein eigener Schatten sich im Sonnenlicht verzerrte und dunkle Schwaden aus seiner Haut stiegen. „Du kannst mir hier nicht helfen."

Maro nickte und ging beiseite.

Du kannst einen Dämon nicht töten, Drache., rasten die Worte wütend durch Bellkurs Kopf, jede Silbe in der Lautstärke eines Glockenschlages.

Aber ich kann ihn dahin zurückschicken, wo er herkam.

Bellkur stürmte vor, hieb seitlich zu. Die Schattenkreatur sprang übermenschlich schnell weg. Sie zerfloss, verfestigte sich wieder, ein langer Arm mit Krallen schnellte aus ihrem Körper hervor und packte Bellkur an der Klaue. Bellkur reagierte instinktiv, verfestigte die Schatten um seinen Arm und sandte einen Schock zu dem Dämon. Er schrie auf, ließ los. Bellkur nutzte den Moment, schickte Wellen, dunkle Schwaden, die sich selbstständig bewegten, zu dem Dämon. Er stöhnte auf, griff sich an den Kopf, röchelte und schien um Atem zu ringen. Bellkur näherte sich vorsichtig, während der Dämon langsam in sich zusammensackte. Plötzlich zerfloss er vollkommen, wurde der Nebel, der ihn erstickte. Bellkur brüllte wütend, sandte neue Energiewellen aus seinem ganzen Körper.

Maro stemmte sich gegen den plötzlichen Wind, aber er rutschte einige Schritte zurück. Er sah, wie der Nebel, dieser dunkle Rauch, sich selbst zu bekämpfen schien. Dennoch spürte er die Präsenz des Dämons immer noch deutlich.

Bellkur zischte, spannte den ganzen Körper vor Anstrengung an. Als er merkte, dass der Dämon durch den Kampf abgelenkt war, murmelte er eine leise Beschwörung. Dünne, schwarze Fäden begannen sich um die Rauchwolken zu bilden, hefteten sich in einem komplizierten Muster auf den Boden. Ein verzerrter Schrei, der Rauch löste sich voneinander, schien zu fliehen. Bellkur setzte ihm nach, schlug mit der Klaue in diesen Rauch. Ein weiterer Schrei, wie als hätte er mehr getroffen, als bloßen schwarzen Nebel.

Der Dämon wurde wieder fest, einige Meter von Bellkur entfernt nahm er eine Form an. Er ballte seine Kraft, die Schatten um ihn herum begannen wütend zu tanzen. Maro sah beunruhigt nach oben, als er Donner hörte. Die Wolken zogen sich zusammen. Ein ätherischer Sturm baute sich langsam auf.

Bellkur antwortete nun mit gleicher Kraft, lud seine magischen Reserven vollkommen mit der Magie der Finsternis auf, bis auch um seinen Körper die Schatten tanzten. Seine Augen waren zu schmalen Schlitzen zusammengezogen, denn er musste sich anstrengen, damit die Ketten des Dunkelscheins hielten. Der Dämon spürte das, setzte ihn sofort mit Attacken auf seinen Geist unter Druck. Bellkurs Mauer wankte. Mit Schrecken spürte der Avial, wie ihm langsam die Kontrolle entglitt. Die Schatten befielen seinen Geist, die flüsternden Stimmen wurden laut und brüllend. Die Ketten dehnten sich, ihre Glieder rissen, sie sprangen, der Dunkelschein brach aus.

Es ist gut...Bellkur...Friede...sei friedlich...keine Gefahr lauert hier...nur Ruhe...nur Ruhe...sei friedlich...mächtiger Bellkur...verzage nicht...es ist vorbei...es ist vorbei, endlich vorbei...all das Leiden, das du betrachten musstest...das du gezwungen warst zu sehen...es ist endlich nicht mehr wichtig...der Tod...die Folter...die Träume werden enden...alles ist friedlich...sei friedlich...großer, mächtiger Bellkur...lege dich hin...genau so...ganz ruhig...nichts wird dir geschehen...dies ist die Ruhe...die ganze Ruhe...und du weißt was du tust...du bist dein Herr...Bellkur...tu was dir beliebt...

Friedlich ist die Dunkelheit und lautlos ist die ewige Ruhe, die in ihr wohnt. Und so spürte Bellkur nichts als Friede an diesem so schönen, wenn auch dunklen Ort. Hier war kein Kampf, kein Blut, kein Schmerz, sondern nur der ewig währende Friede.

Willst du nicht hier sein, Mächtiger? Willst du nicht hier verweilen, an einem Ort, wo nichts als deine Gedanken sind? Verweile...verweile noch ein wenig, mächtiger Bellkur. Verweile, du der den Tod so viele Male gesehen hat. Verweile.

Doch Bellkur wollte nicht, weigerte sich. Es gab zu tun. Er wusste nicht mehr was, vor einem Moment hatte er es noch gewusst, hätte es beschreiben können.

Was war es, Mächtiger? Ist es denn wichtig? Wichtig genug, euch von einem Ort der Ruhe zu vertreiben? Verweile, verweile doch noch ein wenig.

„Nein.", murmelte Bellkur. „Nein...nein, ich kann nicht. Ich...es war wichtig...es...es...nein. Ich muss gehen."

Warum nur...warum... Sanfte Hände begannen über seinen Körper zu streichen, langsam, warm und vorsichtig. Liebe strömte aus ihnen.

„Nicht..."

Sie liebkosten seinen Hals, strichen vorsichtiger noch als jedes Wesen in Bellkurs verschwimmenden Erinnerungen. Er konnte es nicht vergleichen...doch...da war etwas gewesen...ebensolche Liebkosungen, härter, rau und dennoch sanft. Er spürte die Hände, wie sie seinen Schlaf begleitet hatten, doch wer war es gewesen? Mit wem konnte er dies vergleichen. Er wusste es. Vor einem Moment war ihm sein Name noch im Gedächtnis gewesen. Wer war er?

„Bitte lasst es...", bat er, während diese göttlichen Hände eine solche Wärme auf seinen Körper übertrugen, dass er kaum noch Widerstand bieten konnte. Wer war es gewesen, der, dessen Hände ebenso sanft seinen Hals berührt hatten. Langsam sah er vor sich ein Gesicht, konnte in der friedlichen Dunkelheit das Gesicht eines Drachen sehen, von unten her, wie seine Schuppen gegen den Mond silbern glänzten, dessen langes Haare am Kopf sich im Wind wog, die sanften Augen auf seinen Hals gerichtet und langsam strich er darüber. Er bemerkte seinen Blick. Sein Lächeln war offen und entschuldigend. Er griff vorsichtig nach Bellkurs Kopf, drückte ihm langsam und mit warmer Hand die Augen zu, ein beruhigendes gleiten folgte durch traumlose Welten.

„Maro...ich muss zu Maro!"

Nein.

Ein Befehl, stark und unmissverständlich. Die Finsternis bewegte sich, waberte zu einem festen Klumpen und brach vielfach, als sie die Kontrolle über Bellkurs Gedanken verlor. Er wusste wieder wo er war, was zu tun war.

„DÄMON! ZEIG DICH!", brüllte er.

Ich bin doch hier. Ich bin hier.

Bellkur traute seinen Augen nicht. Vor ihm erschien, aus dem Schatten, das Gesicht eines Avials. Ein Gesicht, dass Bellkur nur allzu vertraut war.

„Nein...nein...das will ich nicht sehen!" Er starrte in das Gesicht seiner Mutter. Ihre Augen waren anklagend, traurig, ein Blutgerinnsel floss aus ihrem leicht geöffneten Maul, in dem Bellkur viele abgebrochene Zähne sehen konnte. Sie spuckte plötzlich Blut, fiel und im Fall zerfloss ihr Kopf im Schatten. Bellkur sah, wie mehr Körper auftauchten. Aviale, Drachen, Menschen, Wesen aller Art.

Sie waren Leichen. Faulend, ihr Fleisch hautlos und die Augen leer. Bellkur sah Freunde, Weggefährten, Verwandte, die gestorben waren. Er sah die Drachentöter, die er grausam gefoltert hatte. Sie kamen auf ihn zu, hatten ihn eingeschlossen.

„BLEIBT WEG!", rief Bellkur panisch, öffnete die Flügel, bäumte sich auf. Sie reagierten kaum, sondern kamen langsam, furchtbar langsam näher. Bellkur wich zurück, den Kopf verzweifelt hin und her schüttelnd, immer wieder Worte rufend. Es täte ihm leid. Sie sollten weg bleiben. Er habe keine Schuld. Nichts beeindruckte die wandelnden Toten, deren leere Augen nach seinem Leben verlangten.

„LASST MICH!!!", brüllte Bellkur, außer sich vor Angst und Horror. Da waren seine Mutter, sein Vater und sein Bruder, alle in seiner Familie und sie alle trugen Spuren grausamer Verletzungen. Ihre Haut blätterte, ihre Federn waren ausgerissen und Maden glitten im offenen, eiternden Fleisch umher.

Sie griffen nach seinen Armen, drängten ihn mit ihren matschigen Körper zu Boden. Bellkurs Herz raste, sein Atem ging schnell und Panik und Horror betäubten seinen Geist. Die Leichenhände führten seine rechte Klaue zu seinem linken Arm. Sie streiften die Armbinde ab und viele Narben kamen zum Vorschein.

Sie drückten ihn nieder. Er konnte sich nicht bewegen. Sie drückten seine Klauen fordernd. Hunderte Hände drückten seine Klaue auf seinen Arm. Bellkurs Geist brach. Er konnte nicht mehr, konnte nicht der Versuchung widerstehen, alles enden zu lassen. Einfach so ein Ende hinter dem Leben voller Trauer und Verachtung zu setzen. Er holte Luft.

Zwei weitere Hände legten sich auf seinen Arm. Sie legten sich auf seine Narben, hinderten ihn, sich aufzuschlitzen. Sie waren ohne Blut, vollkommen gesund und nirgends ging die Fäulnis von ihnen aus. Beide waren schwarz, der eine geschuppt, der andere gefiedert. Bellkur sah auf und starrte in hunderte tote Gesichter, die immer drängender waren, die immer näher rückten.

Und er sah Maro und Zerodyme hinter den Leichen. Sie standen nebeneinander, Zerodyme schaute über Maros Kopf hinweg. Ihre Augen riefen ihn, riefen ihn zu ihnen zu kommen. Sie hoben ihre Arme, hielten ihm wartend die Handflächen hin.

Bellkur sah wieder zu seinem Arm. Die Hände Maros und Zerodymes waren weg, doch da hinten, in der Ferne, standen sie, auf ihn wartend.

Bellkur hörte Worte, ferne Worte, die nun ganz nah. Maro, der im Träum zu ihm gesprochen hatte, in der tiefen Nacht Worte des Trosts gefunden hatte.

Er erinnerte sich an seine Bitte.

Bellkur sammelte seine Kräfte, er wusste nicht woher er sie nahm, doch er riss sie an sich, befreite sie. Unter ihm zeichnete sich ein Siegel ab, stark und perfekt. Es riss die Leichen von ihm fort, riss sie zu Boden, unfähig eine Regung zu tun. Er brüllte wütend auf, rief eine Beschwörung, die er auswendig, perfekt, im Kopf hatte. Dunkle Fäden zogen sich durch das helle Bannsiegel, formten es um und versiegelten den Dunkelschein, der sich Bellkur bemächtigt hatte. Die Leichen verschwanden, wurden zu vergessenen Schatten, fanden Frieden in den Erinnerungen Bellkurs.

Die Finsternis um den Avial herum verschwamm, wurde undicht. Maro und Zerodyme verschwanden mit der Dunkelheit, die Augen freundlich zu Bellkur sehend.

Schreiend wachte Bellkur auf. Maro, direkt vor ihm, sprang rückwärts von ihm weg. Bellkur sah zu ihm, sah sich um. Der Dämon stand in einiger Entfernung zu ihnen, schien erst jetzt zu reagieren.

Bellkur ließ keinen Moment verstreichen. Er riss ihn mit einem Gedanken um. Er nahm seine restliche Kraft und sammelte sie in einem Siegel, das sich von seinen Füßen ausbreitete. Er spürte, dass er kaum noch Kraft hatte. Wenn er jetzt scheiterte, würden sie leichte Beute für den Dämon sein. Dieser sah das Siegel und wie die Linien durch das sterbende Gras auf ihn zuschossen. Er rannte fort, bildete plötzlich schnelle, starke Beine aus, die ihn den Abhang hinab trugen. Maro sah, wie er langsam mehr Distanz zu den Linien gewann. Er packte Bellkur am Arm, vereinte ihre Kräfte miteinander. Die schwarzen Fäden wurden schneller, rasten. Sie packten den Dämon und fesselten ihn am Boden.

„Zurück wo du hingehörst!", sagte Bellkur, entfesselte nun seine letzten Kräfte. Der Dämon verschwand in einem violetten Sog, mit dem auch das Siegel verschwand. Letzte Gedanken, Fetzen der magischen Kraft des Dämons flogen herum. Die Drachen, geschwächt und unfähig noch die geringste magische Mauer zu errichten, wurden von ihnen getroffen. Sie hörten die letzten Worte des Schattenwesens.

Armeen marschieren...es ist Tage her...sie marschieren...viele von ihnen. Drei Herren, drei Länder haben einander den Krieg erklärt. Sie haben einen Platz gefunden, an dem sie kämpfen werden, denn sie rechnen nicht damit, dass auch die anderen auf dieselbe Idee kommen werden. Sie werden einen leeren, einen verfluchten Wald betreten, ihn niederbrennen, denn sie fürchten dennoch die Bestie, die in ihm lebt. Sie fürchten sie. Aber das hindert sie nicht, Feuer zu säen. Feuer im heiligen Wald der schwarzen, der mächtigen schwarzen Bestie...hahaha...rettet ihn...Drachen...eilt...damit ihr das Inferno betrachten könnt...damit ihr mir davon erzählen könnt, wenn eure Zeit kommt...hahaha...

Die Stimme verschwand, verflog sich im Wind. Bellkur und Maro sahen einander an. Maro sah, wie die Trauer in die Augen des Avials zurückkehrte.

„Bellkur...wir müssen zu Zerodymes Wald."

„Ja...ja, ich..." Bellkur stockte. Er konnte nicht weiter sprechen. Er sah wieder die Gesichter, sie drangen aus seinen Erinnerungen herauf. „Ich war so kurz davor gewesen. Maro...deine Worte haben mich gerettet."

„Bellkur...wie...hmm..." Maro kratzte sich am Kopf, sein Gesicht ratlos. „Wie sag ich es..."

Bellkur folgte seinem Blick. Auf seinen beiden Unterarmen waren kleine Wunden, kleine Wunden, die mit Krallen geschnitten worden sein mussten. Und er konnte deutlich die Abdrücke seiner eigenen Krallen auf seinem linken Arm sehen, direkt daneben, wie bei einer Hand angeordnet, kleinere Kratzer. Er begriff.

„Du hast mich aufgehalten?"

„Du warst nicht bei dir, Bellkur. Ich stand eine ganze Weile zwischen deinen Klauen...es war...schwierig."

Bellkur konnte sich kaum vorstellen, dass Maro, wesentlich kleiner und schwächer als er, sich tatsächlich zwischen seine Arme gewagt hatte, seine Krallen abgehalten hatte, seinen Arm aufzuschlitzen. Bellkur sah jetzt Maros Speer im Gras liegen. Er lag wie dort hingeworfen, eilig und ohne Achtung.

„Danke...Maro.", flüsterte er. Er hielt seinen großen Kopf an Maros Brust. Er strich sanft über seinen Kopf und Hals, genau wie Bellkur es in Erinnerung hatte.

„Tu das nie wieder.", sagte Maro. Seine Stimme war fest, dunkel, doch er konnte nicht das Zittern, das Zögern in den Worten, verbergen. Trauer, Furcht schwang mit seiner Stimme mit und Angst ließ sie fast brechen.

„Nie wieder, Maro, niemals mehr."

Sie gingen zusammen den Berg hinauf, hoffend, sich ausruhen zu können und etwas Beute zu finden. Deutlich hatten sie in den Worten des Dämons Bilder gesehen. Die Armeen marschierten, doch die Ortschaften waren weit entfernt von Zerodymes Wald gewesen. Noch hatten sie Zeit und selbst wenn nicht, Bellkur und Maro waren zu erschöpft noch einen Flügelschlag zu tun.

Weit, sehr weit entfernt, sah Zerodyme plötzlich Bilder vor ihrem inneren Auge. Sie schloss die Augen, blieb bei ihrer bisher erfolglosen Suche durch die Steppe, nahe der Wüste, stehen. Sie sah Menschen. Sie überfielen Ortschaften, in der Burg Exceslius, der größten Festungsanlage eines der an ihren Wald angrenzenden Königreiche, wurden Truppen versammelt. Armeen waren im Umland verteilt.

Sie sah eine Landkarte. Sah Pfeile aufeinander zukommend. Sie trafen sich im Zentrum. Sie sah brennende Bäume, fliehende Tiere und Menschen die im Wahn aufeinander einschlugen. Gefallene im Wasser und viele, viele würden für immer in den Sümpfen verschwinden.

Maros Stimme schallte in ihrem Geist nach.

Beeil dich...dein Wald...

Kapitel 8: Die schwarze Bestie

Zwei Wochen später.

Der große Wald lag friedlich in der Nacht. Die Armeen schlichen, schweigend, auf ihn zu. Von drei Seiten kamen sie, einander nicht sehend, da die Generäle befohlen hatten, die Feuer zu löschen. Sie hörten nicht, denn die Soldaten hatten Schuhe aus weichem Leder.

Doch sie alle stießen auf denselben Gegner.

Auf die schwarze Bestie.

Die Magier waren bereit, viele Feuermagier waren unter ihnen. Doch just in dem Moment, als sie die Flammen frei ließen, um den Wald niederzubrennen, raste ein schwarzer Schatten aus dem Dunkel unter den Kronen auf sie zu. Jede Flamme wurde plötzlich von einem heftigen Wind und starken Regen gelöscht.

„Es ist die Bestie!", riefen die Magier, sich zurückziehend. Die Drachentöter kamen aus den hinteren Reihen, ihre Waffen bereits in ihren Händen liegend. Sie wollten sie schwingen, zwei von ihnen ihre schweren Armbrüste abfeuern, doch ihre Hände bewegten sich nicht, die Pfeile waren festgefroren. Nebel kam aus dem Gras auf, eisiger, frostiger Nebel, der schnell an der Haut gefror.

„Tötet es!", rief irgendjemand von hinten. Die Soldaten stürmten vor, die Magier begannen ihre Feuermagie zu wirken, diesen gefährlichen Nebel aufzulösen. Die Bestie wartete nicht so lange.

Sie stürmte mitten in ihre Reihen, die gefährlich nach vorn gerichteten Speere missachtend. Die Soldaten drehten sich, versuchten, nun da die Bestie in ihren Reihen war, ihre Waffen in den Rücken zu rammen. Es gelang nicht, denn kaum erblickten sie die Federn dieser Kreatur, schon sprang sie wieder fort, nutzte ihren langen Schwanz als Peitsche, raste weiter in ihrem Blutrausch durch die Menge und fügte wahllos schwere Wunden zu. Die Feuermagier versuchten die Kreatur zu erwischen, warfen mit Feuerbällen und Hitzeschlägen, doch ein ums andere Mal trafen sie ihre eigenen Männer.

Kaum waren zehn Minuten vergangen, da waren die Fußsoldaten bereits in Panik. Sie sahen Freunde und Waffengefährten einen nach den anderen fallen, die Magier schienen unfähig, auch nur einen Treffer an dieser Kreatur zu landen, die überall und nirgends zu sein schien und die Pferde, kampferprobte Kriegsrösser, gingen durch, denn sie konnten einen Blick aus diesen ungleichen Augen nicht ertragen. Der Regen wurde noch stärker, Sturmböen hoben nun sogar Menschen von den Füßen und faustgroße Hagelkörner fielen in den Schlamm, schlugen hart auf den Körper und erschlugen gar manche, die so unvorsichtig gewesen waren, den Helm abzunehmen..

Der General befahl den Rückzug, doch auch dieser Befehl kam zu spät, weit zu spät. Die Bestie war berühmt, sehr berühmt dafür, selten Gnade zu gewähren. So tat sie es auch jetzt nicht.

Zerodyme sah den wenigen Fliehenden hinterher. Der Sturm ebbte ab, verschwand rasch. Sie zog ihre Macht zurück und musste sich einen erschöpften Seufzer verkneifen. Sie hatte viel ihrer Kraft eingesetzt, zuviel.

Unglaublich. Mit dieser winzigen Armee wollten die in den Krieg? Selbst wenn ich nicht vorbereitet gewesen wäre, sie hätten nie und nimmer gegen mich bestanden...sei's drum. Wenigstens sind sie weg. Wie es wohl... Ihr Gedanke brach ab. der Himmel wurde plötzlich erleuchtet. Sie sah zum Horizont. Im Westen ihres Waldes tobte ein Feuer. Sie öffnete die Flügel, flog so schnell sie konnte.

Die vier Großgeneräle, von Gnaden des Fürsten ernannt, genauso wie deren dutzende Untergeneräle, wurden unruhig. Ihre Kriegsmaschinen waren laut, knarrten und schoben sich nur langsam. Zudem war der Sumpf vor ihnen und sie wussten keine Ausweichroute. Die Offiziere waren ratlos. Das Fußvolk hielt, wartete auf neue Befehle.

Die Bestie trat aus dem Wald. Mit ihr kamen Blitze am Himmel, eine merkwürdige Dichte erfüllte die Luft, machte sie schwerer.

Es war ein Drache.

Der Fürst, selbst mit an der Front stehend, begleitet von einem dutzend Magiern, rief nach den Drachentötern. Die Bestie starrte mit gierigen roten Augen auf sie herab. Die Drachentöter kannten dieses Gefühl, dass einen jeden beschlich, wenn ein Drache beschloss, zu töten, zur Genüge, doch all die anderen Soldaten waren wie festgefroren. Erst als der Drache sich bewegte, reagierten sie.

Der Fürst rief ihnen den Befehl zum Angriff zu und die Disziplinierteren unter ihnen, die alten Veteranen, folgten sofort, luden die Ballisten oder legten Pfeile auf die Sehne. Aber der Drache war schnell. Mit einem Hieb trieb er eine Klaue ins Erdreich. Magie breitete sich aus, die Zauberer neben dem Fürsten bauten Mauern auf, dennoch traf sie das sich aufbäumende Erdreich hart und holte sie von den Pferden.

Das nächste was sie sahen, war ein immer größer werdender Energieball, der zwischen den Klauen des Drachen schwebte. Die Magier erkannten den Charakter der Magie und riefen eine Warnung, die im Kampfschrei Hunderter unterging. Die Pfeile schwirrten von den Sehnen und die Ballisten wurden abgefeuert. Die Pfeile und Bolzen flogen auf den Drachen zu, prallten an eine unsichtbare Mauer und fielen in die eigenen Reihen. Der Drache öffnete seine weiten Schwingen, flog über die Menge, ließ die Kugel aus Licht einfach fallen. Die Magier versuchten eine Schutzmauer zu errichten, sie rechtzeitig aufzufangen, aber sie schmolz diese Mauern einfach weg. Sie traf einen Mann und einen Moment schien es, die Kugel würde von ihm aufgesogen. Dann explodierte sie in hunderten Blitzen, die durch Rüstungen und Waffen wanderten. In einem riesigen Radius waren alle Menschen plötzlich tot oder lagen im Sterben.

Die Drachentöter feuerten erneut ihre Ballisten ab. Der Drache wich aus, die Bolzen folgten seinem Flug.

„Das wird langweilig!", brüllte der Drache, fing zwei der Geschosse im Flug, lenkte die anderen mit Unmengen magischer Kraft ab. Gezielt warf er beide Bolzen und traf dabei zwei Ballisten. Noch ehe die Drachentöter wieder laden konnten, ging der Drache in einen Gleitflug und schickte seinen Feueratem über sie. Die verbleibenden Magier warfen Zauber nach ihm und einige Male waren sie sich sicher, dass sie getroffen hatten, doch er schien nicht die geringste Notiz zu nehmen.

Der Drache landete kurz darauf, fing die magischen Attacken frontal ab. Er rief etwas in einer für die Menschen unbekannten Sprache. Ein Siegel bildete sich plötzlich unter ihnen, entriss den Menschen jegliches Metall. Jene mit Rüstung wurden umgeworfen, unfähig sich zu rühren.

„Rückzug!", befahl der Fürst, von seinen Generälen begleitet bereits am hinteren Ende der Armee. Die Menschen flohen vor diesem Drachen, nur die überlebenden Drachentöter stellten sich ihm noch in den Weg, mit einem mutigen Willen und starker Magie bewaffnet. Doch beides rettete sie nicht.

Bellkur wandte sich prüfend zum Wald um, als er auch den letzten Menschen getötet hatte. Er sah nirgends eine Flamme und niemand schien auf die Idee gekommen zu sein in den Sumpf zu fliehen.

Ich hatte doch Recht., dachte er, Nur die Zurschaustellung von Macht lässt die Menschen die Flucht ergreifen...nicht mal ein Zehntel ihrer Truppen habe ich getötet und sie sind geflohen. Eine große Armee...aber so schlecht organisiert...

Ein merkwürdiges Licht lenkte ihn ab. Hinter dem Berg konnte er rotes Leuchten sehen.

„Verdammt...Maro...", flüsterte er und flog los.

„Seht!"

„Es ist die Bestie!"

Schreie erschallten, als die ersten fielen, unvorbereitet. Der General hatte dies kommen sehen, befahl den Angriff, befahl, die Bestie zu erschlagen. Doch nichts, rein gar nichts konnte ihr nahe kommen. Magie prallte an dem Körper ab, Schwerter wurden entrissen, Pfeile abgelenkt, Speere durchtrennt.

„Es ist Maro!", brüllte einer von ihnen. Sein Warnruf ging in einem gurgelnden Schrei unter, als ihn die Waffe am Hals traf. Der General sah den Dämon deutlich, er hatte ihn schon mehrmals gesehen und nicht zum ersten Mal mischte dieser Drache seine Truppen auf. Doch dieses Mal war etwas anders. Kein Spott in den von Fackeln erleuchteten Gesichtszügen, kein Wort der Verachtung kam über seine hornigen Lippen. Mochte der Drache es dieses Mal ernst meinen oder, mehr noch, war er sogar in Bedrängnis?

Sicherlich ist es so., dachte der General lächelnd. Erst vor wenigen Tagen hatte sich ihnen nicht nur eine große Truppe Elfen angeschlossen, vor einer Woche, direkt nachdem sie die Festung Excelsius verlassen hatten, waren fast hundert Drachentöter zu ihnen gekommen. Beide Gruppen, Elfen und Drachentöter, hatten den Berichten nach viel Erfahrung im Kampf mit Drachen.

Der General befahl die Drachentöter nach vorn, ebenso schickte er seine Zauberer und rief das restliche Fußvolk zum Rückzug.

Maro sah einigermaßen perplex aus, als seine Gegner bereits zurückwichen, aber schnell sah er über ihre Köpfe hinweg die markanten, gehörnten Helme auf sich zu kommen und spürte die magischen Kräfte, die sich ihm näherten.

„Wir brauchen Licht!", rief der General und deutete auf die Katapulte, zehn an der Zahl. Maro hörte es, sammelte sofort seine Energien. Langsam, in Zeitlupe, führte er den Speer in einem Halbkreis zu den Katapulten. Die Magier riefen, „RUNTER!", zu den Leuten und geübt, wie die Drachentöter und auch die Elfen waren, taten sie es.

Ein reißendes Geräusch kündigte den Zauber an, dann löste sich eine fliegende Klinge von dem Halbkreis und raste in Brusthöhe über die Armee hinweg. Sie durchschnitt einige unglückliche Pferde, zerstörte die Katapulte und brach erst, als sie auf eine Anhöhe traf. An jener Stelle entlud sich ätherische Energie, bildete einen violetten, gefährlichen Sturm, der das Gras veröden ließ.

Während die Soldaten aufstanden, stürmte Maro bereits auf sie zu, keine Sekunde vergeudend. Er lief direkt auf den General, den er auch noch in Erinnerung hatte, zu. Ihre Klingen trafen sich und der General, seines Zeichens ein starker Magier, konnte gegenhalten.

„Du schon wieder!", stichelte der General.

„Ich schon wieder.", antwortete der Drache, Geifer von den Zähnen tropfend. Er löste sich von ihm, ließ seine Waffe wirbeln. Aber die Drachentöter, schwer gepanzert und mit einigen Waffen ausgestattet, die sogar Maros Klinge eine Weile standhalten konnten, brachten ihn in die Enge.

„Wie ist das, Dämon? Ich bin auf dich vorbereitet...ich habe mir schon gedacht, dass du diese Bestie bist, von der alle reden!", rief der General über das Scheppern des Metalls weg. Maro öffnete, endgültig in Bedrängnis, die Flügel und landete am Waldrand, weit weg von den Drachentötern. Sofort rasten Feuerbälle auf ihn zu. Normalerweise hätte Maro sie frontal abgeblockt, doch dieses Mal war er zu nah an den Bäumen. Es war möglich, dass sie entzündeten.

Maro beschwor die Winde herauf und schickte weite Wirbel, die die Feuerbälle umlenkten oder verflüchtigten.

„Willst du deinen Wald beschützen, Bestie? Das ist sinnlos!", hörte er die Stimme des Generals. Maro sah viele kleine Flammen in den Himmel steigen. Brennende Pfeile. Maro entfesselte weitere Winde, ging an die Grenze seiner Kontrolle und warf die Pfeile aus ihrer Bahn. Aber er spürte, dass das Feuer magisch war. Er konnte es nicht löschen.

Dutzende kleine Feuer brachen im Unterholz aus. Die Trockenheit und der Wind beschleunigten die Ausbreitung.

„Verdammt.", flüsterte Maro. Sein Wind würde die Flammen nur weiter anfachen. Er drehte sich zu den Elfen um, die gerade die nächsten Pfeile auf die Sehne legten. Maro rannte auf sie zu, beschleunigte seinen Lauf mithilfe seiner Windmagie und ehe sie ihn kommen sahen, war er mitten zwischen ihnen. Keiner von ihnen überlebte es. Doch als Maro nach nur wenigen Sekunden wieder aufsah, stand der Wald bereits in Flammen. Maros Zorn kannte keine Grenzen mehr.

Zerodyme sah Bellkur näher kommen. Der Wald brannte lichterloh. Beide vereinten ihre Kräfte und zwangen Grundwasser aus dem Boden aufzusteigen. Sie ließen es waagerecht bis durch die Baumkronen schweben und erstickten jede einzelne Flamme. Nach wenigen Minuten war es vorbei und sie ließen das Wasser wieder fallen.

Schnell flogen sie weiter, erreichten rasch den Waldrand. Maro kämpfte auf einer mit Leichen übersäten Wiese gegen einen Menschen, der sich erstaunlich gut hielt. Um ihn herum viele Soldaten und sie erkannten die Drachentöter. Sie hielten sich zurück, ließen ihrem Anführer, zumindest vermuteten Bellkur und Zerodyme es, das Duell. Die beiden Drachen hatten das allerdings nicht vor.

Die sind...gut ausgerüstet., dachte Bellkur, als er näher kam. Er spürte die Aura vieler magischer Waffen und bezauberter Rüstungen. Er und Zerodyme landeten, griffen die Drachentöter von hinten an. Schreie waren nur noch zu hören. Maro drehte seinen Kopf ein wenig, sah sie kommen. Mit mehr Feuer schlug er nun auf den Mann ein, der immer noch, trotz Maros Kraft, parieren konnte.

Wenige Minuten später.

Der General war schließlich gefallen, hatte seine Magie, die seinen Körper so gestärkt hatte, aufgebraucht. Die Soldaten rannten im wilden Durcheinander weg. Selbst die Drachentöter ergriffen angesichts dreier Gegner die Flucht.

Als die Gefahr vorüber war, standen die Drachen noch eine Weile auf der Wiese und sahen ihren Feinden hinterher. Bellkur sah, dass Maro zitterte. Er spürte unermessliche Wut und Enttäuschung. Zerodyme sah zum Wald, der über viele hundert Meter verbrannt war.

„Du hast es nicht geschafft.", seufzte Zerodyme traurig. Maro senkte seinen Kopf. Bellkur wollte etwas sagen, aber aus irgendeinem Grund tat er es nicht. Er wusste instinktiv, dass nichts den gebrochenen Stolz Maros jetzt heilen konnte.

Plötzlich sammelte sich Maros Aura, wurde mit brutaler Kraft frei.

„VERDAMMT!!!", brüllte Maro und hieb in blanker Wut auf den Leichnam des Generals ein, schlug ihn mit unfassbarer Kraft fort. Bellkur konnte den mehr als hundert Meter weiten Flug des Generals verfolgen, der angesichts der Kraft des Drachen wie ein kleiner Ast wirkte. Maro drehte seinen Speer einmal um sich, hob mit seiner Magie die Leichen und Trümmer der Katapulte hoch und schleuderte auch sie von sich. Mitten in der Bewegung sprang er, hieb ausholend auf die Erde. Zerodyme und Bellkur sprangen erschrocken zurück, als sogar das Erdreich unter ihnen explodierte. Der Radius umfasste mehr als zehn Meter. Maro visierte nun mit dem Speer einen Berg in der Ferne an und ließ eine fliegende Klinge los. Eine solche hatte Bellkur noch nie gesehen. Blitze und räumliche Verzerrungen trieben um sie herum. Der Zauber war so stark aufgeladen, dass Maro die Kontrolle nicht behalten konnte. Auf halben Weg verschwand die Klinge und ein kleiner ätherischer Sturm tötete wieder ein kleines Gebiet auf der weiten Wiese. Maro öffnete seine Flügel und raste in die Nacht davon, keinen Blick zurückwerfend.

Kapitel 9: Die Schmach des Dämons

„Was hat er sich so aufgeregt?", fragte Zerodyme. Sie saß auf ihrem Felsen, auf dem sie sich so gern ausruhte und schaute in den blauen Himmel. Ihre Waffe und ihre Flöte lagen noch genauso dort, wie sie sie liegen gelassen hatte, neben den Steinen. Bellkur antwortete nicht, doch Zerodyme zwang ihn durch wartendes Schweigen zu einer Reaktion.

„Er...ist enttäuscht.", sagte Bellkur. „Wir beide haben unsere Aufgabe schnell erfüllt und an unserer Front ist nicht mal versehentlich ein Mensch in die Bäume gelangt. Er hingegen konnte nicht verhindern, dass dein Wald angezündet wurde."

„Wie hätte er das tun sollen? Wir alle wussten nicht, dass sie so plötzlich von Drachentötern Verstärkung erhalten hatten."

„Und Elfen. Ich habe unter den Leichen viele Elfen gesehen."

„Dann wundert es mich umso weniger. Diese Drachentöter...es war die bestbewaffnete Gruppe die ich bisher gesehen habe. Kein Wunder das er Probleme hatte."

„Zerodyme.", unterbrach Bellkur sie. „Das ist für ihn unwichtig. Du hast doch einen Seelenbund mit ihm. Spürst du es denn nicht?"

„Ich blende es im Moment aus.", antwortete sie. „Ich mag es nicht, diesen unvernünftigen Zorn zu spüren. Er ist närrisch, anzunehmen, er hätte es allein geschafft. Selbst ich oder du hätten unsere Probleme mit dieser Armee gehabt."

„Ja. Aber das ist ihm egal, Zerodyme. Ich...ich glaube sogar, dass etwas vom Namenlosen in ihm ist."

„Er hat ihm sein Blut gegeben, Bellkur. Selbstverständlich!", antwortete Zerodyme mit ihrer einzigartig spöttisch hochgezogenen Augenbraue und ihrer ironischen Stimme.

„Nicht das.", antwortete Bellkur ruhig. „Ich glaube, dass sein Charakter dem des Namenlosen in gewissen Dingen ähnelt. Er ist gierig nach Schätzen und sehr hinterlistig und grausam."

„Das war er..." Sie hatte sagen wollen, vorher schon, doch die konnte es nicht. Schätze waren dem Maro von früher egal und Grausamkeit hatte sie nie feststellen können. Er hatte jedem Gegner ein ehrenhaftes und schnelles Ende bereitet.

„Hab ich doch Recht gehabt.", sagte nun Bellkur in die Stille hinein. „Und eines will er wohl auch. Macht. Viel Macht. Und da kommen wir und führen ihm seine Unzulänglichkeiten vor Augen, während er gerade gescheitert ist, den Wald seiner Freundin zu beschützen. Das muss ihn unendlich beschämt haben. So sehr, dass er uns nicht mehr ansehen konnte. Vermutlich glaubt er, dass wir von ihm enttäuscht sind."

Bellkur erinnerte sich an die Worte Maros, wie sehr er an ihnen hing. Ja, die Enttäuschung und der Zorn hatten nicht ihnen, sondern ihm selbst gegolten. Er war von ihnen der berühmteste, der berühmte Dämon, der weiße Nachtzahn. Allerorts war sein Name bekannt. Die Namen Zerodyme und Bellkur waren hingegen nahezu unbekannt. Selbst Bellkur, der bei vielen Magiern inzwischen den Titel Herr der Elemente erhalten hatte, hatte dennoch kein Kopfgeld. Maros Kopfgeld hingegen war astronomisch. Und dieser berühmte Drache war der Schwächste in dem Trio.

„Und was tun wir?", fragte Zerodyme.

„Wir werden ihn sich ein wenig beruhigen lassen und besuchen ihn dann. Wenn wir ihn andere, mächtigere Magie lehren, wird ihn das bestimmt aufmuntern."

Zerodyme nickte, doch wieder beschlich sie ein merkwürdiges Gefühl.

Maro saß allein vor seinem Goban, in die Bäume starrend. Es lagen nur schwarze Steine auf dem Spieltisch. Sonst hatte sich nichts an diesem Ort voller Frieden geändert und dennoch war da jenes merkwürdige Verlangen in ihm. Dieser Wunsch, wieder zu morden, wieder zu töten und zu verstümmeln, wie er es mit Bellkur zusammen getan hatte. Ein grausames, verlockendes Verlangen.

Er packte seinen Speer, wirbelte ihn herum, vollführte einige Attacken. Er wusste, dass seine Schüler ihm gespannt von irgendwoher zusahen. Sie verehrten ihn, doch Maro war unzufrieden.

Er entsann sich der Armeen, der Magier, die er nur mit Mühe, mithilfe aller seiner Kräfte zurückwerfen konnte. Nein, mehr noch, Bellkur und Zerodyme hatten ihn gerettet.

Gerettet., dachte er bitter, Erneut gerettet...wieder gerettet...bin ich nicht stark genug, für mich selbst zu sorgen, mich selbst zu verteidigen? Ich, Maro...den man Dämon nennt...

Weiter ließ er den Speer kreisen, schneller und schneller, bis kein menschliches Auge der Klinge zu folgen vermochte.

All diese Worte...meine Freunde...Bellkur...Zerodyme..., er sah sie vor sich, ihre unfassbare Magie. Er sah, wie Zerodyme die Wolken kontrollierte, wie Bellkur den Himmel zerbrach, wie die Lichtklingen ganz Trepo einebneten...und sich, mit seiner fliegenden Klinge, in der Lage ein Gebäude zu zerschneiden...nur ein Gebäude.

Ich will mehr...mehr..., dachte er, in seinen Luftschlägen einhaltend. Er betrachtete seinen Speer, der schon so viele Kehlen durchschnitten hatte, so viele Leben beendete. Ich will mehr!

Er brüllte seine Enttäuschung hinaus, befreite alle seine Kraft, welche einen heftigen Sturm über der Siedlung verursachte. Bäume ächzten unter der Last, einige Dachbalken knackten, kleine Kieselsteine flogen empor, nur um Sekunden später wieder zu fallen. Er brüllte erneut, hieb seinen Speer senkrecht nach oben, wo einige Sekunden die dichte Wolkendecke geteilt wurde. Blitze entluden sich.

Ich kann den Himmel teilen...ich kann so vieles...aber...es reicht nicht...nicht...ich WILL MEHR!!! Die letzten Worte brüllte er wieder, laut. Er konnte hören, wie das Echo sie spottend wiederholte. Er schloss beschämt die Augen. Sofort sah er den brennenden Wald Zerodymes, hörte die Trauer, diese gewisse, verborgene Enttäuschung in ihrer Stimme.

Ich will mehr. Ich will mehr. Ich will alles!

Er spürte eine plötzliche Energie, eine unfassbare Energie, die direkt hinter ihm aufgetaucht war. Er drehte sich um, eine Kampfpose einnehmend. In der Luft war ein lang gezogenes Loch, der Namenlose trat hindurch, auf Maro hernieder sehend. Sein schlangengleicher Körper stand noch hinter dem Tor.

„Meine Flamme, mein Festfeuer...warum der Zorn?"

„Ihr...Meister...wieso habt ihr uns..."

„Das war meine Entscheidung, Maro, es ist nicht an dir sie anzuzweifeln."

„Aber wie konntet ihr nur..."

„Euch im Stich lassen? Das tat ich, weil ich es wollte. Und was ich will, kann ich."

Maro schüttelte den Kopf. Die Stimme seines Meisters war dunkler als sonst, kalt und ablehnend, seine Augen gnadenlos. Und Maro spürte seine Energie, anders als sonst, Diese dunklen Wellen...er hatte eine solche Kraft, identisch, bereits zuvor bei einem anderen Wesen gespürt. Bei einem herbeigerufenen Wesen, die durch ihren Bund die Intensität und den Charakter der Magie ihres Beschwörers annehmen. Der Dämon hatte denselben Charakter in seiner Magie gehabt.

„Warum habt ihr das getan? Wieso habt ihr einen Dämon gerufen und in die Freiheit entlassen?"

„Auch dies bleibt mein Geheimnis, derer ich schon so viele besitze, Maro, den man Dämon nennt. Du, der weiße Nachtzahn, brauchst es nicht zu wissen. Ich verlange nicht, dass du mich verstehst, ich verlange nicht, dass du mir verzeihst. Ich ließ euch frei, nicht? Doch zum Punkt. Ich hörte deine Gedanken, deinen Wunsch, stärker zu werden, deinen Willen nach mehr...also bitte...lass mich dir helfen..."

Maro schrak auf, hob den Speer, denn er spürte die Absicht des Namenlosen. Der Drache sandte nur einen Gedanken, und die eilig errichtete Mauer brach. Sein Geist wurde einem mächtigen Willen unterworfen. Der, den man Dämon nennt, sackte bewusstlos in sich zusammen. Der Namenlose verschwand wieder, zog das Portal zusammen, ein gewisses, gieriges Glitzern in seinen Augen, die Maro so ähnlich waren.

Dämon...werde stark...werde mächtig!

Epilog:: Lebenswerk

Erschöpft lehnte ich mich zurück, betrachtete die Manuskripte, sah zu dem Stapel Notizhefte, die ich abgearbeitet hatte, sah zu der gefüllten Kiste, die es noch niederzuschreiben galt. Das Kerzenlicht war schummrig, verlieh meinem Arbeitsraum einen gewissen Schatten. Ich sah die ganzen Blätter, die vielen dünnen Bücher durch. Da waren weitere Geschichten, viele Geschichten über fantastische Ereignisse. Da waren Namen, wie ich sie noch nie gehört hatte. Maro, Zerodyme, Bellkur, und weitere, viele weitere. Aremara, Zarestro, Aurei, Seji...so viele, die noch Erwähnung finden wollten.

Ich trat aus meinem Arbeitszimmer, in meiner Villa herrschte Ruhe.

„Wie fühlt ihr euch, mein Herr?", fragte mein Diener, der beflissentlich auf leisen Pfoten angeschlichen gekommen war. Hier ist vielleicht zu betonen, dass er ein Tigermensch war und mir aufgrund seiner angeborenen Talente ein schneller, sauberer Diener wie auch eine treue Leibwache war. Nicht alle waren mit dem, was ich schrieb, einverstanden.

„Es geht mir gut. Danke. Leg dich wieder schlafen." Dies war sein Nachteil. Mein Diener schlief gerne und lang. Meist machte ich mir mein Frühstück selbst, doch ich sah es ihm nach, da seine Backkünste herausragend waren.

Langsamen, bedächtigen Schrittes ging ich zu meinem Balkon, sah auf meinen Garten hinaus. Draußen, hinter der dicken Mauer und dem hohen Tor, tobte das Leben. Es reizte mich sehr, wieder hinaus zu gehen, aber ich war reich, ich war berühmt...es hatte diesen unwiderstehlichen Reiz des Verbotenen. Nur einmal hatte ich es getan, war hinaus in die Stadt gegangen und auf so unglaubliche Weise belohnt worden. Die Geschichten waren unglaublich, voller visueller Kraft...diese Schicksale, nie hätte ich solches für möglich gehalten.

Draußen auf dem Balkon sah ich hinab auf den gepflegten, perfekten Rasen und die senkrecht gestutzten Büsche. Diese Perfektion hatte ich meinem Vater zu verdanken, da er den Gärtner stets antrieb, während ich das Unperfekte bevorzugte.

Wie stets, wenn meine Gedanken zu meinem Vater trieben, schlichen sich Erinnerungen an. Ich, der Künstler, würde nur Triviales schaffen, nichts Bedeutsames, nichts...einfach nichts besonderes sein. Oftmals dachte ich an die Vergangenheit, wie oft ich so kurz davor stand, einfach aufzuhören. Aufzugeben.

Ein Schatten trat aus der Nacht.

Noir, der Schwarze sah zu mir hinauf. Seine Augen waren golden, sein langes, silbernes Haar zurückgesteckt. Plötzlich erkannte ich ihn.

„Elagra.", hauchte ich, merkwürdigerweise nicht überrascht über diesen Besuch. Noir, oder Elagra, als den ich ihn erkannt hatte, deutete hinter sich. Aus den Schatten ins helle Fensterlicht traten Drachen, so viele von ihnen. Alle Arten Wesen, alle möglichen Wesen, von denen mir Noir berichtet hatte. Ich sah Maro und seinen Speer, ich sah, direkt neben ihm in einer Reihe, Zerodyme und Bellkur, ich sah Aurei mit ihrem schlangengleichen silbernen Körper, ich sah den Wolfsmenschen Seji, ich sah Aremara, den Vogeldämon und neben ihm sein Vater Zarestro, ich sah Aeiou, die Zauberin, deren Haar wie die Nacht selbst wirkte.

Meine Schultern sanken schlaff herab, mein Mund stand offen. Ich wusste, ich würde diesen Anblick nie vergessen.

Noir lächelte dünn. Er machte eine Geste und all diese Wesen öffneten ihre Flügel, befreiten ihre Magie, die in dieser Dichte sogar die Luft selbst zum diffusen Leuchten brachte. Und plötzlich waren sie fort. Nur Noir stand noch da, verbeugte sich tief. Er hob die Hand, schnippte, und war verschwunden, hinterließ nur ein kurzes Flirren in der Luft.

Ich schloss die Augen, brannte dieses Bild in meinen Geist. Jeder Gedanke an verzagen war fort, denn dies würde mir über Ewigkeiten hinweghelfen. Drei Geschichten hatte ich geschrieben, dutzende warteten noch und ich würde sie alle zu Papier bringen, um die Schicksale dieser außergewöhnlichen Wesen zu würdigen.

„TSELKAT!", rief ich laut, während ich vom Balkon stürmte. Mein Diener kam angerannt, Schlaf in den Augen. Ich ignorierte seine vergeblichen Mühen, ein Gähnen zu unterdrücken.

„Ich möchte, dass du Tinte kaufen gehst."

„Jetzt, mein Herr? Es ist tiefe Nacht."

„Sag den Händlern ich hätte dich geschickt, sie werden öffnen. Die Tinte...es sollten wenigstens zwei Liter sein. Anschließend zwei weitere Schreibmaschinen, als Sicherheit, sollte meine kaputt gehen. Und dann mindestens Eintausend Stoß Papier."

„Was?", fragte Tselkat. Ich schaute ihn befehlend an. Er merkte, dass ich es ernst meinte.

„Hopp!", half ich ihm auf die Sprünge und er rannte mit seinem ganz eigenen, für Menschen kaum zu verfolgenden Tempo los.

Ich setzte mich in mein Arbeitszimmer, ließ die Knöchel knacken, betrachtete meine in die Jahre gekommene Schreibmaschine. Die hundert Stoß Papier, die neben ihr lagen, sahen plötzlich merkwürdig klein aus.

„Dann wollen wir mal." Ich nahm das nächste Notizbuch und schrieb los.

Bellkur ist ein Charakter von Marluxia

Zerodyme ist ein Charakter von Gaiasangel

Maro, Elagra (Noir), Seji, Aurei und all die anderen sind Charaktere von mir

Bitte benutzt sie nicht ohne unsere Erlaubnis.

Eine Kurzgeschichte von Noiratblack

Fortsetzung folgt