Tage im Juni - ENTDECKER (3) - Ger

Story by Kranich im Exil on SoFurry

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#19 of Tage im Juni

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TAGE IM JUNI

Entdecker

- 3 -

An seinem Ende erhob sich wofür die beiden gekommen waren: das alte Lazarett mit seiner düsteren Silhouette.

Noch immer starrte es mit großen, schwarzen Fenstern in den Park und schien nur widerwillig seine Besucher willkommen zu heißen. Wilder Wein wuchs die Fassade empor und quoll wie ein Geschwür über die Arkaden. Wo er das Mauerwerk berührte, hatten sich schwarze Flecken gebildet, die in den Rissen und Spalten herunterliefen.

»Es sieht aus, als würde das Haus weinen«, meinte Jannik und ließ seinen Blick über das Gebäude wandern.

Totenstill lag es vor ihnen, scheinbar wartend. Der Wildwuchs konnte seinen imposanten Charakter nicht verbergen. Es musste einst mächtig und stolz gewesen sein mit all seinen Bögen und Erkern, den Balkonen und Kolonnaden. Heute jedoch schien es melancholisch und mürrisch zu sein, als wäre es von der Welt verdrängt und vergessen worden. Nun forderte es nur noch jeden Besucher grimmig auf, es in Ruhe zu lassen und seine toten Träume nicht zu stören.

Niklas verharrte kurz neben dem Luchs und folgte seinem Blick. Er schien aber nicht zu sehen, was Jannik begutachtete. Er ließ nur seine Nasenflügel zucken und lief dann weiter.

Mit jedem Schritt vergrößerte sich Janniks Unbehagen dem Gemäuer gegenüber. Ihm fiel auf, wie still es dort war.

Das Lazarett und sein Park lagen inmitten der Stadt. Trotzdem war vom geschäftigen Treiben nichts zu hören, als wäre alles hinter den Mauern zurück geblieben. Der Rest der Welt war ausgesperrt worden. Nicht einmal Vögel konnte er ausmachen. Der ganze Ort war in sonderbare Stille getaucht, die etwas Strenges, fast Friedhöfisches hatte.

Umso deutlicher waren seine Schritte zu hören. Laub und Steine knackten und knirschten unter seinen Schuhen. Der Klang war dumpf und unnatürlich. Er schien von der Wildnis geschluckt zu werden.

»Bist du sicher, dass wir hier sein dürfen?«, fragte er zögerlich.

Er hatte das Gefühl, dort nicht erwünscht zu sein. Dies war eine andere Welt, die nicht länger für Fremde offen stand. An diesem Ort hatte keine Seele etwas verloren und jedes Paar Augen war ein Neugieriges zu viel.

Wieder keine Reaktion vom Waschbären. Jannik brummte missmutig.

»Kannst du nicht wenigstens ab und an mit mir sprechen?«, rief er Niklas nach, der ohne Umweg auf das Haupttor des Hauses zuwanderte.

Der Kleinbär blieb kurz stehen und warf einen verwunderten Blick über die Schulter.

»Trödel nicht«, war seine Antwort. Dann setzte er seinen Weg unbeirrt fort und war fast schon im Haus verschwunden.

Jannik schnaufte verärgert, aber er hatte jetzt keine Zeit, sich über Niklas aufzuregen. Viel zu sehr war er mit seiner Angst beschäftigt und den Reihen der Fenster, die er angespannt im Auge behielt.

Im zerbrochenen Glas spiegelten sich verzerrte Schemen der Umgebung. Sie bewegten sich mit ihm. Er suchte nach den Umrissen einer Gestalt. Nach einem Gesicht im Schatten. Dem Untier aus seinem Traum.

Nichts. Niemand dort. Trotzdem konnte er das bohrende Gefühl nicht loswerden, dass aus irgendeinem der hundert Fenster jemand zurückstarrte. Oder etwas.

Er beeilte sich, um zum Waschbären aufzuschließen. Dieser wanderte in der Eingangshalle herum, die ein zum Hof passendes Bild angenommen hatte. Nur spärliches Licht fiel durch die mit Wein behangenen Fenster. Wände und Boden trugen eine dunkelgraue Färbung -- eine Mischung aus Moos, Moder und den Resten der abgeblätterten Tapete. Eine wuchtige, zweiflüglige Treppe führte in die anderen Stockwerke. Vor ihr kauerten die Reste der verwitterten Rezeption. Abgesehen davon war die Halle leer. Was brauchbar war hatten flinke Finger schon vor Jahren mitgehen lassen.

»Das ist -- «, flüsterte Jannik, aber Niklas legte ihm bloß den Finger auf den Mund. Dann stellte er seine Ohren auf. Jannik sah ihn verwundert an, tat dann aber das gleiche.

Beide verharrten lautlos. Der kleine Luchs konzentrierte sich und langsam lernten seine Ohren der Stille zu lauschen. Er bemerkte die leisen Geräusche der Weinblätter, die in der Brise gegen die Mauer schlugen. Draußen erklangen Grillen und Fliegen. Der Wind züngelte sacht durch die Säulenreihen.

Niklas ließ seine Nasenflügel wippen. Jannik verstand und machte es ihm nach. Er sog den Geruch der Umgebung auf. Modrig und feucht. Der Duft von Gräsern und altem Holz. Eine eigenwillige, würzige Note von Putz und Stein, die Staub und Regen vieler Jahre aufgesogen hatten.

Alles war leise, subtil und heimlich. Völlig anders als in der Stadt, wo Geräusche und Gerüche aufdringlich und allgegenwärtig waren. Und auch ganz anders als im Luchshaus, in dem alles den vertrauten, warmen Fellgeruch trug. Die Ruhe hier schien endlos und rein zu sein.

Es war keine andere Seele zu entdecken. Kein Laut eines Unbekannten, der sich im Nebenraum versteckte. Kein Geruch eines Beobachters im Schatten. Die beiden Jungen waren alleine.

Niklas nickte. Er schien zu sehen, dass Jannik verstanden hatte.

In die Nervosität und den Ärger des Luchses mischte sich plötzlich Bewunderung für den kleinen Waschbären. Er schien überhaupt keine Furcht zu haben, als gäbe es an diesem Ort keine Gefahren. Zielsicher führte er Jannik durch die Flure, jedoch nicht mit Übermut und Leichtsinn sondern mit unbeirrbarer Gelassenheit, als wäre dieser Ort sogar sicherer als die Außenwelt.

Trotzdem hätte sich Jannik gewünscht, Niklas würde dabei das ein oder andere Wort mit ihm teilen. Vielleicht war er es aber auch einfach nicht gewohnt zu sprechen, da er hier für gewöhnlich alleine unterwegs war.

Das Lazarett war riesig. Am Ende jedes Korridors tauchten neue Abzweigungen zu anderen Zimmern auf. Nur hier und dort wiesen einige verblasste Schilder auf deren ehemalige Funktionen hin. »Bestrahlung« stand auf einer Tür, die in einen dunklen Gang führte. »Küche« verkündete ein Schild an der Wand eines großen Saals mit hohen Fenstern. Auch dort waren Möbel und Geräte lange schon entwendet worden. Die einstigen Kochstellen waren nur noch durch die abstehenden Rohre und Kabel zu erkennen und die dunklen Flecken auf den abgenutzten Fliesen. Hier mussten früher einmal duzend Herde in Reih und Glied gestanden haben -- bereit, hunderte von Mäulern zu stopfen. Die Belegschaft des Lazaretts schien riesig gewesen zu sein. Und die Patienten unzählig.

»Das Gebäude ist nicht immer ein Lazarett gewesen«, verkündete Niklas plötzlich, als sie einen Flur entlang wanderten, der ein Büro nach dem anderen zeigte. »Zur Zeit der Greiferaufstände war es ein Verwaltungsgebäude für die Armee. Von hier aus wurden alle Entscheidungen gelenkt. Otto Colobus Manul hatte hier ein Büro«, fuhr der Waschbär fort.

Jannik stellte überrascht die Ohren auf.

»Der Typ, der die Katzen angeführt hat?«

»Ja, der Präsident der Vereinigung der Feliden.«

Ihm kam die Statue von Manul gegenüber dem Rathaus in den Sinn. Ein großer, pausbackiger Kater, der in Wirklichkeit aber eher breit als groß gewesen sein soll.

Der Luchs hatte keine Ahnung gehabt, dass das Gebäude eine so bewegte Vergangenheit hatte. Viel erstaunlicher fand er es jedoch, dass der Waschbär plötzlich mit Interesse über etwas sprach. Und sich scheinbar mit der Geschichte des Hauses auskannte. Das hatte Jannik nicht erwartet. Aber wahrscheinlich war jedes Thema unerwartet, kam es in mehr als drei Worten aus Niklas' Mund.

Der Waschbär quetschte sich durch einige Bretter, mit denen eine Türöffnung vernagelt war. Eins von ihnen war jedoch praktischerweise abgerissen und bot Winzlingen einen Durchgang. Jannik folgte ihm.

Der Gang dahinter war ein unendlich dunkler Korridor, dessen Fenster vollständig mit Weinlaub überwuchert waren.

Janniks Luchsaugen benötigten eine Sekunde, um sich an die Dunkelheit zu gewöhnen. Langsam bohrten sich graue Türen und einige schemenhafte Möbel aus dem Schatten. Die Finsternis schien ihn zu bedrohen. Alles war wie hinter einem grauen Vorhang verborgen, der der Umgebung alle Details stahl.

Wieder drängte sich ihm das Gefühl zweier Augen auf, die ihn von irgendwo hinter den Schleiern aus Staub und Schatten anstarrten. Erneut spürte er die Angst vor einem albtraumhaften Monster aufkommen, das hier hausen könnte.

Der Luchs zog seine Taschenlampe aus dem Rucksack. Ihr Lichtschein verscheuchte die Dunkelheit und wo er die Umgebung traf, kehrte Farbe zurück. Er ließ den Lichtkegel über die Wände wandern.

Niklas blickte ihn für einen Moment grimmig an. Es schien ihm nicht besonders zu gefallen, dass Jannik eine Taschenlampe mitgebracht hatte.

Tapete und Putz waren fast völlig von den Wänden geblättert. Stattdessen wurden sie von Graffitis verziert. Das einzige Anzeichen, dass es hier in der Vergangenheit noch andere Besucher gegeben hatte.

»Kampf den Katzen!« Darüber die grobe Zeichnung eines Auges mit geschlitzter Pupille.

»mutti mietz beobachtet dich beim kacken!«

Jannik wanderte den Flur entlang wie in einer Galerie.

»Miliz militanter Masturbierer.«

Hundehumor. Er verdrehte die Augen bei den künstlerischen Ergüssen.

»Aber warum lässt man Manuls Verwaltungsgebäude verfallen?«, fragte er.

»Er ließ das Gebäude schließen, nachdem es als Lazarett genutzt worden war«, erzählte Niklas und tapste den Gang hinab. »Wahrscheinlich wollte er nicht, dass andere mitbekommen, was die Feliden hier so alles gemacht haben.«

Jannik ließ den Schein auf Niklas fallen. Er blinzelte und bewegte sich aus dem Lichtkegel. »Was meinst du?«, wollte er wissen.

»Manche sagen, die Feliden haben das Lazarett benutzt, um Leute krank zu machen.«

»Das ergibt doch keinen Sinn«, entgegnete Jannik. Er erinnerte sich an den Greiferaufstand -- einen Bürgerkrieg, in dem die Pflanzenesser die Diktatur der Fleischesser stürzten. Obwohl es eher die Diktatur der Caniden war, denn damals waren alle wichtigen Staatsämter in den Pfoten von Hunden und Hundeartigen. Pflanzenesser wurden als »von zu minderer Konstitution« angesehen und dazu verurteilt, als Bauern und einfache Arbeiter tätig zu sein.

Die Bevölkerung hatte irgendwann die Nase voll und die Feliden stellten sich auf die Seite der Pflanzenesser, um die Canidenregierung gewaltsam all ihrer Ämter zu entheben.

Zumindest hatte es so in den Schulbüchern gestanden.

»Die Feliden haben den Verlierern geholfen und sie gesund gepflegt«, wandte Jannik ein.

Einer der Gründe, warum die Katzen heutzutage ein so hohes Ansehen genossen. Statt brutaler Vergeltung haben sie den Caniden Hilfe angeboten und ihnen zurück in die neue Gesellschaft geholfen.

»Glaube den Katzen nichts«, mahnte Niklas. »Sie sind keine Wohltäter.« Aus dem Schatten funkelten seine Augen, wenn der Lichtschein ihn traf. Sein Blick lag für einen Moment auf dem Luchs.

Dann verschwand er in einer Nische am Ende des Flurs. Jannik wollte ihm folgen, aber er war einfach fort. Wie ein Geist. Nein, wie ein Waschbär.

Dort war ein schmaler Spalt nahe am Boden, der darauf wartete, dass sich jemand hindurchzwängte. Niklas schien jede geheime Ecke des Gebäudes zu kennen.

Dahinter befand sich ein beklemmend enger Gang mit blanken Steinwänden und einer schmalen, steilen Treppe, die scheinbar endlos in die Tiefe führte.

Jannik hielt inne. »Vielleicht sollten wir nicht so weit nach unten gehen«, rief er.

Niklas Stimme war unten zu hören. »Hast du Angst?«

Der Luchs zögerte.

»Du kannst ja nach Hause gehen«, kam Niklas' Antwort.

Jedes Haar an seinem Körper sagte ihm, dass das die beste Entscheidung wäre. Niklas' Schritte entfernten sich immer weiter. Sie wurden von den dicken Steinwänden geschluckt und Stille kehrte ein. Jannik vernahm nur noch das leise Knistern des Weins und das einsame Säuseln des Windes, der durch die leeren Flure streifte.

Dieser Ort war wirklich völlig abgeschieden und einsam. Und Niklas streifte hier regelmäßig alleine umher?

Es war so ähnlich wie ein Abenteuer, nicht? Ein fremder Ort, dessen Betreten verboten war und der vielleicht Geheimnisse beherbergte, die nur Niklas und Jannik enthüllen würden. Abenteuer müssen etwas Aufregendes oder gar Unheimliches haben, sagte er sich. Sonst wären sie keine Abenteuer sondern einfach Alltag.

Er leuchtete die Treppe hinab. Der Lichtkegel war wie ein Zauber, der die Schwärze und alles Böse in ihr zurückdrängte. Mit der sich davonstehlenden Dunkelheit kehrte etwas von Janniks Mut zurück.

Er setzte sich zögerlich in Bewegung und als er zu Niklas aufschloss, standen beide in einem breiten Gewölbe. Der Lichtkegel der Taschenlampe riss karge Wände aus dem Dunkeln. Die Decke des Gangs war hoch und wurde von schmucklosen Säulen getragen. Von Steinbögen hingen Kabel und alte Leuchtstofflampen.

»In den Aufständen starben mehr Pflanzenesser als Fleischesser«, setzte Niklas seine Geschichte fort. »Aber das Lazarett war voller Fleischesser. Ist das nicht seltsam?«

Jannik zuckte mit den Schultern.

»Kennst du die ›Moral-Therapie‹?«, fragte Niklas und tapste weiter voran. Immer tiefer hinab ins Herz des Gemäuers.

»Als die Feliden versucht haben den Caniden beizubringen, wie man friedvoll miteinander leben kann?«, mutmaßte Jannik. Er erinnerte sich an Bilder von freundlichen Caniden, die mit den Katzen zusammenarbeiteten und die als Vorbilder für andere Hunde hochgehalten wurden. Im Geschichtsbuch war ein doppelseitiges Foto mit über hundert Hunden auf einem Campingausflug.

Er hörte Niklas verächtlich ausatmen. »Blödsinn«, zischte er. »Sie haben behauptet, alle Caniden seien bösartig und würden von Natur aus andere Anthros hassen. Sie meinten, man müsse Caniden umerziehen, um sie zu ›guten‹ Anthros zu machen. Und die Leute haben es ihnen geglaubt, weil sie die Caniden dafür hassten, was sie der Bevölkerung angetan haben. An Orten wie diesem hier haben sie Therapien gegen ›böses‹ Verhalten ausprobiert. Gegen ›Canidenverhalten‹.«

Jannik hatte Niklas aus den Augen verloren. Er ließ den Lichtkegel wandern, fand den kleinen Waschbären aber nirgends. Seine Stimme hallte von den Wänden wider und schien von überall zu kommen.

»Woher weißt du das alles?«, wollte Jannik wissen.

Er hörte Schritte neben sich. Dort war eine Kammer. Mehrere sogar, die sich dem Korridor anschlossen. Sie erinnerten an kleine Lagerräume, jeweils mit einem Gitter im Boden, das wohl dem Abfließen von Wasser dienen sollte. An der Rückseite waren mehrere massive Haken und sen in die Wand eingelassen. Wahrscheinlich für Regale, die heute jedoch fehlten. In einigen der Kammern waren mächtige Ketten an den sen befestigt und Dinge, die wie große Handschellen aussahen.

Jannik beschlich das ungute Gefühl, sich in einer Folterkammer zu befinden. Was er dann fand, verstärkte seine Befürchtung.

Im Schein der Taschenlampe tauchten dünne, helle Streifen an einigen der Steine auf. Das Material war dort beschädigt und völlig abgenutzt. Er fuhr mit seiner Kralle darüber und stöhnte auf, als er erkannte, dass es Kratzspuren waren. Krallen hatten den Stein so lange gewaltsam bearbeitet, bis sich darin tiefe Furchen gebildet hatten. Die Spuren reichten exakt so weit wie die Ketten es zuließen.

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