Tage im Juni - LEHRMEISTER (3) - Ger

Story by Kranich im Exil on SoFurry

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#13 of Tage im Juni

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TAGE IM JUNI

Lehrmeister

- 3 -

Im dritten Stock herrschte immer Nacht. Die Fenster zur Straßenseite wehrten sich gegen neugierige Blicke mit dicken Vorhängen, zweckentfremdeten Schranktüren und den Resten von Umzugskartons. Die zum Innenhof waren mit einem reichhaltigen Belag aus Spinnenweben und Staub bedeckt. Die Deckenbeleuchtung war schon seit Monaten kaputt -- was nicht nur zum verwahrlosten Flair beitrug, sondern auch der Stromrechnung zugute kam.

Das Treppenhaus mündete in ein schwarzes Loch. Zum Glück wartete stets ein gelbliches Licht am Ende des langen, finsteren Tunnels: der Übergang vom Diesseits in die Küche.

Eine Kochstelle war dies nur im Namen, genutzt wurde sie als Lagerplatz, Diskussionsrunde, Veranstaltungsort und Schlafstätte. Sie war der einzige Raum, der rund um die Uhr beleuchtet war und in dem man immer irgendwen antreffen konnte. Meist hing der Qualm von Zigaretten und kulinarischen Unfällen an der Zimmerdecke wie Gewitterwolken.

Niklas hatte sich in einen der durchgesessenen Holzstühle sinken lassen und seinen Kopf auf die Tischplatte gelegt. Vor ihm stand die Dose mit der Maus. Der Nagerwinzling saß einfach nur herum und wusste scheinbar genauso wenig mit sich anzufangen, wie der Waschbär. Oder vielleicht ging ihm dieser Tag genauso auf die Nerven wie Niklas. Träge tippte der Junge gegen das Plastik.

Arik und Ayko saßen neben ihm am Tisch. Joas lehnte am Kühlschrank. Der bescheuerte Pudel war immer noch da. Zurückgelehnt fläzte er auf dem Stuhl, seine Füße auf dem Tisch ausgebreitet als wäre er König. In einer Pfote hielt er das Ende seines dünnen Schwanzes und ließ es kreisen wie ein Accessoire.

Sein Name war Caspar, soweit Niklas Arik richtig gehört hatte. Immer wieder fuhr er mit der Pfote über seinen Unterschenkel, auf dem sich gut sichtbar Niklas Gebiss verewigt hatte. Den kleinen Waschbären überkam jedes Mal ein Gefühl der Befriedigung, wenn er auf die Wunde sah.

Er hatte es dem Blödmann gezeigt. Und jeder konnte es sehen.

Niklas bemerkte wiederholt, wie die gelben Augen des Pudels ihn musterten. Es ging ihm auf die Nerven. Die meisten Leute wichen mit dem Blick aus, wenn man zurückstarrte. Er tat es nicht. Stattdessen schienen ihn Caspars Augen regelrecht herauszufordern. Ständig grinste er.

Jeden Satz beendete er mit hochgezogenen Mundwinkeln, als wären alle seine Worte irgendein Witz, den bloß niemand verstand.

Was hatte der Typ hier zu suchen? Das Waschbärennest war für Ringelschweife. Schon immer. Türen, Fenster und jede Ritze wurden akribisch abgedichtet, um Fremde fern zu halten. Arik war extrem penibel dabei.

Und jetzt saß der Pudel dort am Tisch wie der Papst persönlich. Schon wieder sah er zu Niklas rüber. Der Waschbär zog die Augenbrauen herunter und starrte zurück.Ich behalte dich im Auge!

Der Kerl steckte ihm die Zunge raus. Niklas schnaufte.

»Wie viele?«, wollte Arik wissen.

»Neununddreißig im Moment«, meldete Ayko. »Zehn von jeder Sorte und je drei zur Kontrolle.«

»Wie aufwändig wird die Herstellung sein?«

»Einfach Ethanol draufzukippen bringt's nicht. Die Extraktion braucht Zeit«, entgegnete Ayko und spielte nachdenklich an seinen Rasterlocken herum, die ihm wie Lianen ins Gesicht hingen.

Niklas hatte keine Ahnung, worüber sie sprachen. Wahrscheinlich wieder eines der vielen Nebenprojekte seiner Cousins, wobei es ein Hauptprojekt nie gab. Ständig wurde an etwas getüftelt und geknobelt, das in der einen Woche ganz dringend und ultrawichtig war und wovon man in der nächsten schon nichts mehr hörte.

Viel Sinn ergaben diese Basteleien nie und er konnte sich auch nicht erinnern, je ein fertiges Ergebnis gesehen zu haben. Aber irgendetwas musste dabei scheinbar doch Früchte tragen, denn Arik brachte regelmäßig Geld mit nach Hause. Nicht viel, aber es reichte für ein paar Konserven und Packungen Coco Crunch.

Vielleicht trugen auch die häufigen nächtlichen Ausflüge seiner Cousins dazu bei, von denen sie manchmal mit seltsamen Einkäufen zurückkehrten. Deren Zweck hatte Niklas auch noch nicht ganz verstanden. Er hatte sich angewöhnt, ihren Diskussionen nur mit einem Ohr zuzuhören, da sie ihn sonst verwirrten. Und neugieriges Nachfragen mochte Arik überhaupt nicht.

Niklas tippte erneut die Plastikdose an. Die Maus sollte gefälligst wach bleiben. Wenn sie da einfach nur regungslos lag, würde sie niemandem auffallen. Die anderen sollten aber sehen, dass er Beute gemacht hatte. Es war kein massiger Büffel und kein Riesenkaninchen. Große, fette Tiere kann doch jeder fangen. Winzige, flinke und flutschige bedurften jedoch eines besonders raffinierten Jägers.

Niklas' Blick huschte zwischen den anderen Waschbären umher, in der Hoffnung, sein Jagderfolg würde ihnen auffallen.

Keiner beachtete ihn. Er schob die Dose langsam und heimlich etwas weiter in die Mitte des Tisches, während er die anderen eindringlich mit den Augen fixierte. Keiner nahm Notiz. Stattdessen quatschten sie weiter über verwirrendes Zeug.

»Und dann gibt's noch ein Problemchen«, fügte Ayko hinzu. »Der Wirkstoff hat unterschiedliche Effekte bei verschiedenen Spezies. Das kann ich nicht vorhersagen. Wölfe könnten bunte Bildchen sehen, während Hirsche 'nen Hirnschlag kriegen. Kann versuchen, die Dosierung so genau wie möglich abzuschätzen, aber abchecken können wir's nur mit 'nem Test.«

»Testkaninchen zu finden ist kein Problem«, meinte Caspar und grinste. »Nur, wenn sie krepieren könnten, sag mir Bescheid. Wär gut das vorher zu wissen.«

Bla, bla, bla. Pudel. Bla. Niklas hätte ihm lieber in die Zunge beißen sollen. Dann würde er die Klappe halten und nicht mehr so viel grinsen. Er blies grimmig Luft aus seiner Nase und drückte seine Backe gegen die Tischplatte. Niemand interessierte sich für ihn.

Er kippte die Dose nach rechts und links. Die Maus schlitterte darin herum wie auf einer Eisbahn.

Ariks Hand brachte die Dose zum Stillstand. Er warf Niklas einen kurzen, scharfen Blick zu -- einen von der Sorte, der unmissverständlich klar machte, dass Niklas den Blödsinn besser sein ließ, wollte er keine Faustabdrücke im Gesicht haben.

»So bringst du den Nager nicht zum Springen«, meckerte er, »sondern machst ihn bloß bekloppt. Was hast du heute den ganzen Tag gemacht?«, verlangte er zu wissen.

Die Frage bohrte sich in Niklas Bauch und ließ ihn verkrampfen. Das war nicht die Art Aufmerksamkeit, die er haben wollte. Er verspürte nicht die geringste Lust, irgendetwas über die Bekanntschaft mit den Tigern auszuplappern. Arik würde dann nur noch mehr Fragen stellen. Und Ariks Fragen waren nie gute Zeichen. Er fragte nur, wenn er die Antwort bereits kannte.

»Gejagt«, gab Niklas zurück, in der Hoffnung, das würde Arik genügen.

Das tat es nicht. Niklas konnte es an seinen Augen sehen. Der große Waschbär musterte das Gesicht des Jungen. Hoffentlich bemerkte er nicht, dass es Bekanntschaft mit einem Baum gemacht hatte.

Zögerlich wandte Niklas seinen Blick ab, begriff jedoch sofort, dass es Arik nur noch argwöhnischer machen würde. Die Augen seines Cousins verharrten einen Moment auf dem Jungen ohne etwas zu sagen. Stattdessen ließ er sie weiter zur Dose wandern.

»Womit hast du sie gefangen?«, fragte er.

»Coco Crunch.«

»Flinke Mäuse springen in süße Fallen. Lahme hingegen benötigen andere Köder«, belehrte er Niklas. Er ließ seine Finger über die Dose fahren und schnipste gegen das Plastik. Die Maus zuckte.

Er drückte langsam den Deckel auf. Die Maus reckte ihren Kopf in die Höhe. Sie witterte die frische Luft der Freiheit und ihre Lebensgeister schienen auf einmal wiedererweckt worden zu sein.

»Du hast herausgefunden, was Mäuse mögen. Für was sie ins Töpfchen springen. Es geht aber noch leichter.« Er grinste und beugte sich zu Niklas. »Berechenbarkeit. Wenn du ihnen nimmst, was sie mögen oder brauchen und sie im Glauben lässt, sie können es noch bekommen, weißt du, wohin sie springen werden.«

Wie vom Blitz getroffen schoss die Maus aus dem Spalt am Deckel. All ihre Energie war auf einmal zurückgekehrt.

Niklas riss die Augen auf und sah seine Beute davonflitzen ins Nirgendwo.

Aber Ariks Hand schnellte nach vorn, griff die Maus am Schwanz, riss sie zurück und hob sie in die Luft. Es ging so schnell, dass Niklas von der Bewegung zusammenzuckte. Sein Cousin hatte nicht einmal überlegen und zielen müssen. Er schien genau gewusst zu haben, wohin sie rennen würde.

Sie zappelte in der Luft, wand sich umher und versuchte ihren Schwanz aus seinem Griff zu lösen. Ariks Gerissenheit und Schnelligkeit machten Niklas Angst. Und er bewunderte sie.

»Denk bei der Jagd ans Ziel«, riet der große Waschbär. »Sie ist nicht zum Spaß da.«

Er ließ die Maus vor sich zappeln. Sie versuchte ihren eigenen Schwanz zu greifen und daran hochzuklettern, war aber zu schwach und zu irritiert. Trotzdem wehrte sie sich mit aller Kraft.

»Der Jäger hat die Pflicht, die Beute zu erlegen.« Arik schlug die Maus auf den Tisch. Er zog sie am Schwanz zurück in die Luft. Sie zappelte noch mehr, verwirrt und panisch. Er riss sie erneut nach unten und ließ sie mit einem weiteren dumpfen Klatschen auf die Platte knallen.

Er tat dies so lange, bis ihr Gezappel weniger wurde. Jedes Mal prüfte er kurz, ob sie sich noch wehrte und wandte. Sie zuckte. Eine weitere Runde Tischachterbahn für sie. Bis sich ein feuchter Fleck gebildet hatte. Das Klatschen hörte sich matschig an, nachdem sich der Fleck zu einer kleinen Lache aus Blut und Knochensplittern vergrößert hatte.

Arik prüfte die Maus. Keine Bewegung. Kein Zucken. Schaum vorm Mäulchen. Loch im Kopf. Schmierig. Und ließ sie auf den Tisch fallen, wo sie mit gekrümmten Gliedern und schiefem Kopf liegen blieb.

»Wenn du jagst, musst du auch töten. Das ist das Ziel. Alles andere ist bloß Spielerei. Völlig sinnlos.«

Er schob die Dose zurück zu Niklas. Der kleine Waschbär starrte stumm auf die Maus, die vor einer Minute noch vor ihm saß und das Näschen zucken ließ. Mit ihren kleinen Augen hatte sie Niklas beobachtet. Jetzt lag nur noch ein schmieriger, pelziger Klumpen vor ihm. Nichts bewegte sich. Die Augen starrten verdreht gegen die Zimmerdecke.

»Anthros sind genauso«, sprach Arik. »Jeder will etwas. Du musst es nur herausfinden und dann weißt du, wohin sie springen werden. Und sie können weit springen.«

Er starrte Niklas an. Seine Kieselaugen waren unerträglich und der kleine Waschbär wich ihnen aus. Trotzdem spürte er das Stechen des Blickes. Niklas nickte langsam.

Er hob den Klumpen vorsichtig auf und legte ihn zurück in die Dose. Er schloss den Deckel und kippte sie nach links und rechts. Der Klumpen schlitterte umher.

Arik streichelte ihn am Kopf und kraulte sein Ohr.

Dann fragte er in die Runde, was es zum Abendessen geben sollte. Alle blickten Joas an. Nur weil er halbtags als Küchenhilfe im_»Balut«_ arbeitete, einem alternativen Restaurant am Stadtrand. Das hippe Lokal war weit über die Stadtgrenzen bekannt für seine miese Qualität.

Joas brummte. »Hat irgendwer 'nen bestimmten Wunsch?«

»Speckkuchen mit Zimt und karamellisierten Walnüssen«, meldete sich Caspar prompt.

Joas gab als Kommentar einen genervten Blick zurück.

»Speckkuchen klingt gut«, bestätigte Arik.

Niklas hasste diesen blöden Pudel.


Er schloss die Tür hinter sich. Der vertraute Geruch staubiger, holziger Luft hüllte ihn ein.

Er atmete auf und trat genervt die Schuhe von den Füßen. Den Rucksack warf er mit dem Rest seiner Sachen aus dem Schuppen vors Bett und lehnte für eine Weile an der Tür. Er spürte, wie sich seine Brust angespannt hob und senkte. Er ließ die dämmrige Stille auf sich wirken, damit sich sein Körper wieder entspannen konnte.

Ob Arik etwas gespürt hatte? Gesagt hatte er nichts. Zum Glück. Aber sein Blick.

Niklas konnte sich nicht verstecken. Zumindest nicht für lange. Arik würde merken, dass ihn etwas bedrückte und ihn wortlos beobachten. Ariks Blicke war lauter als jedes Wort das er sprechen konnte. Er würde nichts sagen, wartete darauf, dass Niklas seinen Mund aufmachte und das Schweigen würde sich in den Bauch des kleinen Waschbären bohren, bis ihm schlecht wurde.

Statt sich zu beruhige fing seine Brust wieder an zu zittern. Die Luft fühlte sich schwer an, als würde er Wasser in seine Lungen saugen.

Er sollte ehrlich zu Arik sein. Alles andere würde die Sache nur noch verschlimmern. Sein Cousin mochte Ehrlichkeit. Aber er mochte keine Feiglinge. Und keine Petzen.

Niklas hatte ihn verraten. Seine eigene Familie bloßgestellt. Er hätte den Mund halten und sich von Chuma verprügeln lassen sollen. Das wäre das richtige gewesen. Damit hätte er gezeigt, dass er seine Cousins respektierte, statt sie bloßzustellen.

Niklas spielte nervös an seinen Fingerballen herum. Wegen ihm würde Arik nun Riesenprobleme bekommen. Es ist Niklas' Schuld, dass Chuma hinter seinem Cousin her war. Er könnte weiterhin schweigen und sich tot stellen, doch dann hätte Arik keine Ahnung, dass Chuma es auf ihn abgesehen hatte. Er wäre völlig unvorbereitet. Sein Cousin hätte jedoch eine Chance, dem Tiger aus dem Weg zu gehen, wenn Niklas den Mut aufbrachte, in Ariks Augen zu sehen und den Mund aufzumachen. Dann hätte er aber mit Ariks Strafe zu rechnen. Die Strafe für einen kleinen, feigen Verräter.

Wieder kam ihm das Bild vom blutigen Chucks in den Sinn. Arik würde mit Niklas das gleiche tun, selbst wenn er sein Cousin war. Ringelschweif oder nicht. Arik scherte sich nicht um Äußerlichkeiten und würde Niklas lehren, seine Familie zu respektieren.

Nur kannte Niklas diese Lektion schon lange. Und Arik wusste, dass er sie kannte, aber sich aus Feigheit nicht dran gehalten hatte. Darum würden die Schläge diesmal besonders hart ausfallen, damit Niklas seine Feigheit durch sie vergessen konnte.

Arik will bloß das Beste für uns, versuchte der Junge sich zu überzeugen, Er kümmert sich immer um uns.

Je öfter er die Worte in seinem Kopf wiederholte, desto leichter fielen sie ihm.

Es stimmte. Arik kümmerte sich um die Waschbärensippschaft. Er beschützte sie, brachte Geld mit nach Hause, schlug Idioten zusammen, die etwas Böses von ihr wollten. Sein Cousin fürchtete nichts. Er musste nicht nachdenken, sondern wusste die Antworten. Niklas bewunderte seine Stärke und Entschlossenheit. Er wünschte sich, irgendwann so wie Arik sein zu können und weder Zweifel noch Angst haben zu müssen.

Arik war furchtlos, ja. Er würde Chuma nicht aus dem Weg gehen, selbst wenn Niklas ihn warnte. Irgendwann würden beiden aufeinander treffen.

Musste der Junge dann überhaupt etwas sagen? Er malte sich aus, was ein Tiger einem Waschbären antun könnte. Sicher würde es schlimm sein. Wenn er den Mund aufmachte, könnte sich Arik zumindest vorbereiten.

Die Gedanken kreisten endlos in Niklas' Kopf bis er bemerkte, dass er nun fast schon eine Stunde an der Tür gelehnt hatte und sein Rücken zu schmerzen begann.

Die sinkende Sommersonne kroch durch ein Loch in der Jalousie und piekste ihn ins Auge. Mürrisch zwang er seinen Körper aus seiner Starre und warf er einen Blick nach Draußen zum Nachbarhaus. Zwischen Erkern zwängten sich kleine Balkone, auf denen in Sommernächten lauter Tumult herrschte. Zwei Wieselkinder brüllten über ein kaputtes Spielzeug. Der Vater brüllte, dass sie die Klappe halten sollten. In Unterhosen hopste er grantig herum, eine Zigarette in der rechten Pfote, eine Flasche Bier in der linken.

Niklas schob die Lamellen der Jalousie zusammen, um das aufdringliche Licht draußen zu lassen.

Sein Zimmer war sein Nest, seine kleine, dunkle Höhle, in die er sich zurückziehen konnte, wenn es die Welt draußen auf ihn abgesehen hatte. Die grauen Wände bildeten ein undurchdringliches Schutzschild, die Grenze seines kleinen Universums, in dem er verschnaufen, schlafen und träumen konnte. Hier gab es nichts Böses. Alles Fremde und Schlechte blieb hinter der Tür zurück. Aller Spott verstummte. Hier war alles vertraut. Jeder Schrankknopf, jeder Spalt im Holz, jeder Riss in der Tapete, jedes Spinnennetz existierte nur für ihn und sehnte treu seiner Rückkehr entgegen.

Er setzte sich auf den Boden und überprüfte die Wäschebox. Statt schmutziger Klamotten waren darin eine kleine Schale mit Wasser und eine Untertasse mit Knusperkugeln.

Er zog die Plastikdose zu sich und starrte auf den Fellklumpen darin. Er setzte ihn in die Box und beobachtete ihn für eine Weile.

Es war still. Nichts rührte sich. Nicht einmal das Näschen. Kein aufgeregter Herzschlag mehr wie leises Trommeln.

Er stupste den Fellklumpen an und ließ seine Kralle unter dem Köpfchen entlangfahren. Er drehte es zur Seiten, bis ihn die schwarzen Augen und das blutige Mäulchen anstarrten.

Es war nicht mehr als ein Gegenstand. Leblos. Er drückte auf den Bauch und schob die Kiefer auseinander, spielte an den winzigen Pfötchen herum.

Alle Personen waren wie die Maus, nicht war? Jeder bloß ein Gegenstand, der irgendwann kalt wurde und sich nicht mehr bewegte. Kaputt ging wie seine Kopfhörer. Plötzlich stumm.

Er atmete ein und schloss die Box.Bloß eine dumme Maus. Völlig sinnlos. Wenn er wollte, könnte er sich eine andere suchen. Laufende, zuckende Gegenstände.

Das Wasser war ohnehin fast verdunstet.

Er ließ sich auf sein Bett fallen und starrte gegen die Zimmerdecke. Wie oft waren seine Augen schon jeden Riss und Fleck dort abgefahren. Die grauen Staubschleier waren wie ein Mandala, das ihn in den Schlaf begleitete.

Diesmal funktionierte es jedoch nicht. Sein Kopf war voller Lärm und er hatte keine Musik, um ihn zu übertönen.

Hinter den Wänden hörte er das Ächzen und Knacken der Außenwelt. Das Tapsen von Füßen. Schlagen von Türen. Dumpfe, körperlose Stimmen raunten, kicherten, brüllten. Er hörte seine Cousins. Die alte Waschbärin aus dem Zweiten meckerte im Flur. Und immer noch das Brüllen der Wiesel draußen.

Er vergrub seinen Kopf unter der Bettdecke. Es half nichts.

Warum verschwanden sie nicht einfach? Warum konnte er nicht aufwachen und alle Straßen waren leer? Niemand brauchte sie. Die Welt würde ohne Anthros auskommen. Häuser würden zerfallen unter dem Laub von Bäumen, Gärten ihre Zäune überwinden und in die Straßen wachsen.

Alles wäre eins. Es gäbe keine Grenzen mehr. Keine Regeln. Keine Vorurteile.

Auf seinem Handy blinkten immer noch vereinzelte Kommentare auf. Sie wurden nicht müde. Niklas war vollkommene Beute für sie -- ein neues Opfer und sicher machte es ihnen Spaß, sich gemeinsam auf es zu stürzen.

Alleine wären sie zu feige. Jeder Einzelne von ihnen sollte nur mal für einen Tag ein Außenseiter sein. Niklas stellte sich vor, wie sie dann alleine in einem Wald wären und vor jedem Rascheln im Gras zitterten und Monster hinter jedem Baum vermuteten.

Sie hielten ihn für ein Monster? Dann wollte er eines für sie sein. Angst einflößend, damit sie vor ihm kauerten. Sein graues Fell im Schatten, während sie hilflos und ahnungslos waren.

Hier und jetzt war er allerdings eine andere Art Monster -- lächerlich, ein Freak.

Er las Janniks Nachricht erneut. Sie gab ihm ein befremdliches Gefühl. Sie fühlte sich nett an. Ein Zeichen, dass sie gelogen sein musste. Niemand interessierte sich für Niklas. Vielleicht hatten Janniks Eltern ihn gezwungen, sie zu schreiben. Weil es »anständig« war.

Oder der Luchs wollte ihn reinlegen. Hatte irgendetwas vor.

Andere zeigen dir etwas, das du haben willst. Um dich damit in eine Falle zu locken. Wie eine Maus.

Aber Jannik würde Niklas nicht hereinlegen. Er durchschaute seinen Versuch. Er würde den Luchs stattdessen austricksen. Er fragte sich, wie weit Jannik springen würde, um zu bekommen, was er sich wünschte.

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