Tage im Juni - FREUNDE (5) - Ger

Story by Kranich im Exil on SoFurry

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#10 of Tage im Juni

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TAGE IM JUNI

Freunde

- 5 -

Niklas hielt die Dose vor sich. Die lebendigen Kekse entpuppten sich als ein Tier. Eine Maus.

Warum trug er eine Maus in seinem Rucksack herum?

Niklas fischte einen Beutel mit Knusperkugeln aus dem Rucksack. Er ließ ein paar auf seine Hand fallen und streckte sie Jannik entgegen.

Der Luchs beäugte sie für einen Moment skeptisch. Er war sich nicht sicher, ob er Süßigkeiten annehmen wollte, die aus einem Rucksack stammten, der seltsame Geräusche abgab und eine Maus in der Dose beherbergte. Wer weiß, was sonst noch alles darin zu finden war.

Als er jedoch erkannte, dass es sich um Coco Crunch handelte, zögerte er nicht länger.»Wahnsinnig gut.«

Niklas drückte ein paar Kugeln durch Löcher in der Dose, die gerade groß genug für sie waren. Die übrigen landeten in seinem eigenen Mund. Er stellte die Dose auf das Gras, legte sich auf den Bauch und beobachtete die Maus darin. Diese schien an den Kugeln jedoch recht wenig Interesse zu haben.

»Wo hast du denn die Maus her?«, wollte Jannik wissen.

»Gefangen.«

»Und was hast du mit ihr vor?«

Niklas zuckte mit den Schultern und beobachtete den kleinen Nager in seinem beengten Gefängnis. Die Maus schien mittlerweile nicht einmal mehr über die zwei großen Murmelaugen erschrocken zu sein, die sie durch das milchige Plastik beobachteten. Sicher hatte ihr der Rucksack-Limbus schon geistige Schäden beschert. Sie saß apathisch herum, nur gelegentlich ihr Näschen zucken lassend. Ihr Oberkörper hob und senkte sich bei jedem Atemzug. In der Dose musste es stickig und heiß sein.

»Willst du sie nicht freilassen?«, fragte Jannik. Niklas reagierte nicht. »Ich glaube nicht, dass es ihr dort drin gefällt.« Keine Antwort.

Niklas tippte die Dose an. Die Maus zuckte kurz. Plötzlich schien etwas anderes seine Aufmerksamkeit zu erregen.

Er stellte seine Ohren auf und lauschte der Umgebung.

Jannik tat instinktiv dasselbe, konnte aber bloß den Wind in den Blättern und Gräsern hören. Von der Liegewiese drang das undeutliche Geschwätz einiger Sonnenanbeter heran.

Beide Jungen verharrten einen Moment. Gräser raschelten und knisterten. Grillen zirpten. Wasser murmelte sacht. Nichts Ungewöhnliches zu hören.

Janniks Blick fiel zurück auf die Maus in Nöten. »In einer Dose eingesperrt zu sein würde dir auch nicht gefallen.«

Niklas blies genervt Luft durch die Nase. »Eine Maus fühlt gar nichts«, entgegnete er forsch. »Ihr ist alles egal.«

»Aber --«

»Hast du noch mehr Ideen, was ich tun oder lassen soll?« Niklas zischte. Dann ergriff er die Dose samt Maus und verstaute sie wieder in seinem Rucksack. Er zog ihn auf den Rücken.

Das hatte Jannik nicht so gemeint. Er wollte etwas erwidern, da hoben beide erneut die Ohren und blickten sich um.

Gräser, Grillen, Geplätscher. Das Rascheln war lauter geworden. Viel zu laut.

Niklas sprang auf. Im hohen Gras war ein Kopf aufgetaucht. Breites Wangenfell, stechend gelbe Augen und ein Mosaik schwarzer Streifen, wie eine Kriegsbemalung. Ein Tiger. Er schälte sich aus dem Gras und wuchs in die Höhe. Am breiten Kopf hing ein ebenso massiger Körper.

Jannik erspähte im Augenwinkel noch einen weiteren. Und ein dritter kam den Weg am Ufer entlang. Sekunden später stand einer von ihnen zu jeder Seite. Das waren die Tiger, die er bereits heute Morgen gesehen hatte. Sie waren Riesen, wahrscheinlich aus der Zehnten oder Elften.

Jannik hatte nicht das Gefühl, dass sie bloß zufällig dort waren. Wie drei Bergspitzen türmten sie über den beiden Jungen und musterten sie.

Jannik konnte ihre Herzen schlagen hören. Dunkle, dumpfe Schläge, wie drei Pauken.

Der größte von ihnen trug ein rotes Schultrikot mit dem abstrahierten Gesicht des Hirschhundhasen darauf. Die Arme des Tigers waren massig und unter dem kurzen Fell konnte man jeden Muskel erkennen. Sie waren angespannt.

Die Augen des Tigers wanderten von Jannik auf Niklas und verharrten dort eine ganze Weile.

»Waschbär«, sprach er mit tiefer, trockener Stimme. Jannik konnte ihre Vibrationen spüren. Er sah, wie sich Niklas Körper anspannte, bereit, sich auf der Stelle umzudrehen und sprunghaft im hohen Gras zu verschwinden.

Jannik war mit dieser Beobachtung nicht alleine, denn plötzlich ergriff der große Tiger Niklas am Kragen, um ihn von der Flucht abzuhalten. Mit seiner Riesenpranke zog er ihn zu sich heran. Sie war fast so groß wie Niklas Kopf. Niklas stemmte sich dagegen, konnte aber nichts ausrichten.

»Wir wollen nur reden«, versicherte der Tiger und zog Niklas so dicht an sich heran, als wollte er ihn umarmen -- oder vielmehr in seinen aufgepumpten Armen zerquetschen.

»Du bist in Chucks Klasse. Was weißt du über den Angriff?« Seine Augen bohrten sich in Niklas Gesicht. Zum Glück war es illegal, Anthros zu fressen. Sonst hätte der Tiger das wahrscheinlich ohne zu Zögern getan.

Der Waschbär antwortete nicht und wich dem stechenden Blick aus. Die Pranke schüttelte ihn kurz durch und die Frage wurde wiederholt.

»Ich weiß nichts«, spuckte Niklas schließlich aus.

»Du lügst«, kam prompt die grimmige Antwort.

Der Tiger hievte den Waschbären in die Höhe. Niklas strampelte. Der Schraubzwingengriff lockerte sich jedoch nicht. Er wurde herum gerissen und mit Wucht gegen den Baumstamm gedrückt. Niklas keuchte und umklammerte die Pranke. Der Tiger bewegte seinen Kopf nah an Niklas Gesicht. Sein Nasenrücken kräuselte sich.

»Ich kann es verdammt noch mal nicht ausstehen, wenn man mich anlügt!«, grollte er. Der Ton vibrierte in Janniks Brust. »Jetzt sag mir, was du über den Typen weißt, der Chucks fertig gemach hat oder ich reiß dir die Fresse raus!«

Die wütende Drohung fühlte sich an wie ein Schlag in die Magengrube.

Das zornige Katzengsicht des Tigers beschwor Janniks eigene Wut herauf und er schaffte es, sich aus seiner Schockstarre zu befreien. Er schrie den Tiger an. Der schien ihn aber nicht zu hören oder zu ignorieren.

Dann spürte Jannik eine Pfote auf seiner Schulter. Einer der anderen Tiger blickte auf ihn herab. Sein Fell war silbrig und sein Gesicht von einem tiefschwarzen Muster verziert, durch das seine Augen wie blaue Flammen hindurch brannten. Die Pfote stieß den Luchs einfach beiseite, als wäre er eine Pappfigur. Oder eine lästige Mücke, die man einfach wegwischte.

Jannik stolperte rückwärts und landete im Gras. Der silbrige Tiger verschränkte die Arme vor der Brust und beobachtete das Verhör.

»Wer hat Chucks das angetan?«, verlangte der Tiger im Trikot zu wissen. Seine Stimme dröhnte so sehr, dass sich Niklas' Fell sträubte. Sein Hals und Gesicht wirkten wie geschwollen.

Der Waschbär gab keine Antwort sondern schnappte nach Luft. Seine Hände fuhren panisch über die Pfote des Tigers, konnten aber keinen Halt an ihr finden. Sie schien starr und glatt wie Stein.

»Ihr seid doch alle gleich!«, zischte der Tiger, nahm Niklas und ließ ihn gegen den Baumstamm schlagen. »Lügner und dreckige Arschlöcher! Feige und blöd wie Scheiße!« Er drückte ihn gegen das Holz als wollte er ihn wie eine Orange daran auspressen.

In Niklas Augen explodierten Zorn und Angst. Er fauchte und spreizte seine Hand. Ihre Krallen schnellten in Richtung des Tigergesichtes. Dieser zog seinen Kopf hastig zurück, gerade noch schnell genug, um sie nicht in den Augen zu haben. Seine Nasenspitze wurde gestrichen und eine hauchdünne rote Linie bildete sich auf ihr.

Die Augen des Tigers weiteten sich zu brennenden gelben Seen, in denen die Pupillen versanken. Sein Gesicht verzerrte sich zu einer bestialischen Fratze. Nase in tiefe Falten gelegt. Zähne entblößt.

Der Anblick versetzte Niklas in Panik. Er wandte sich und strampelte. Die Pranke ließ ihn gegen den Stamm knallen, quetschte ihn ein. Wie einen Sandsack. Zog ihn zurück. Ließ ihn erneut gegen das Holz schlagen. Rieb ihn gegen die Rinde, bis Fellbüschel daran hängen blieben.

»Chuma, hör auf!«, fauchten die anderen beiden Tiger und sprangen hektisch an den großen heran. Sie stemmten sich gegen ihn und versuchten ihn an der Schulter zurückzuhalten. Ohne Erfolg. Sie waren nicht stark genug.

Niklas knallte ein weiteres Mal gegen den Stamm. »Bist du irre?!«, brüllte der silbrige Tiger. »Er ist ein Kind!«

Niklas zitterte am ganzen Körper und schnaufte. Tränen und Rotz flossen sein Gesicht herunter. »Arik«, rief er leise mit zusammengekniffenen Augen.

Chuma starrte ihn an. Sein Körper war steif wie ein Fels. Er holte tief Luft. Atmete aus. Zwang sich zur Ruhe. Ein erneutes Grollen ließ seine Brust erbeben, aber er schien zu versuchen es mit aller Kraft herunterzuschlucken. Seine Ohren waren feuerrot. Seine Tasthaare abgespreizt.

Dann zog er Niklas vom Baumstamm zurück, hielt ihn kurz in der Luft, sah ihn an und ließ ihn los. Der Waschbär landete vor ihm auf dem Boden. Niklas konnte sein Gleichgewicht nicht finden, stolperte und fiel rücklings in den Bach. Mit lautem klatschen spritzten Wasser und Algen um ihn herum. Ein Schwarm Mücken wurde aufgescheucht.

Bis zum Bauch saß er im Wasser. Rucksack und Kopfhörer waren davon geflogen und verteilten sich im Bach.

»Arik?«, wiederholte Chuma den Namen. Er atmete schwer, als wäre er soeben einen Marathon gelaufen.

Einer der anderen Tiger hatte sein Handy hervorgezogen und starrte darauf. »Elfte Klasse. In Herrn Scrofas Kurs«, verkündete er.

Chuma schnaufte und knirschte mit den Zähnen. Er ballte seine Pfote und rammte sie gegen den Baum. Mit ganzer Kraft. Noch einmal. Noch einmal. Die anderen Tiger schlossen ihre Augen, scheinbar hoffend, dass die Raserei schnell vorüber ging. Chuma brüllte. Der Baum zitterte und einige Blätter segelten zu Boden.

Die Schläge wurden langsamer. Der große Tiger stützte sich am Baum ab und atmete schwer. Er hatte die Augen zusammengekniffen. Das Fell in seinem Gesicht glänzte feucht. Er rieb sich die Augen, zog den Rotz in seiner Nase hoch und spuckte ihn ins Gras. Dann ließ er vom Baum ab, dem ein beträchtliches Stück Rinde fehlte.

Für einige Sekunden stand Chuma stumm da und sah Niklas an. Dann drehte er sich wortlos um und machte sich auf den Rückweg, die Böschung hinauf.

Der silbrige Tiger warf Niklas und Jannik abwechselnd Blicke zu. Seine Augen verharrten einen Moment lang auf dem Waschbären, dessen Gesicht von der Bekanntschaft mit dem Baum völlig zerzaust war.

»Scheiße«, murmelte die Großkatze. Er fuhr sich mit der Pfote durchs Gesicht und blies Luft durch die Zähne. »Sorry«, sprach er. »Okay?« Dann drehte er sich um und folgte den anderen.

Niklas saß regungslos im Wasser und starrte auf einige ausgerissene Schilfblätter, die vor ihm trieben. Seine Brust hob und senkte sich wie ein Luftballon, den man aufblies und wieder leerte. Das Wasser war ihm bis ins Gesicht gespritzt. Es tropfte ihm von der Nasenspitze. Das Fell seiner Wangen hing herunter. Es war unmöglich zu sagen, ob seine Augen vom Wasser oder von Tränen feucht waren.

Der Rucksack berührte ihn am Ellenbogen. Er bemerkte, dass sich dessen Inhalt eifrig im Bach verteilte. Aus der Starre befreit angelte er hastig nach ihm. Er konnte die Plastikdose geradeso davor bewahren, zur Arche zu werden und die Strömung hinab davon zu segeln.

Jannik hatte sich zurück aus dem Gras gekämpft. »Alles in Ordnung?«, fragte er.

Niklas watete mit eingesunkenem Kopf durch das Wasser. Er würdigte ihn keines Blickes. Gab keine Antwort.

Natürlich ist nichts in Ordnung, zischte Jannik zu sich selbst. Du Trottel.

Niklas stopfte seine nassen Sachen in den ebenso durchtränkten Rucksack. Jannik sammelte die Stifte und Niklas Zeichnung auf. Jemand war auf sie getreten. Er strich sie glatt.

Niklas kletterte aus dem Bach. Überall tropfte Wasser aus seinen Klamotten. Das Fell seines vorher buschigen Schweifes klebte zusammen. Er hing herunter und seine Spitze streifte über den Boden. Im nassen Zustand zeigte sein Fell keine Musterung mehr, sondern hatte sich in ein einheitliches dunkles Grau verwandelt.

»Was war das gerade?«, wollte Jannik wissen.

Keine Antwort. Keine Reaktion.

Niklas zog seine Kopfhörer aus dem Bach. Wasser lief aus ihnen heraus, als wären sie für Fische gemacht. Er schüttelte sie. Eine der Ohrmuscheln brach ab. Er starrte sie emotionslos an und legte sie sich dann um den Hals.

Jannik hielt die Zeichnung hoch und reichte sie Niklas.

Der Waschbär blickte sie an, dann Jannik. Sein Gesicht war völlig verwüstet, das Fell nass, herunterhängend und einige Tasthaare abgeknickt.

Niklas nahm die Zeichnung. Zerknüllte sie. Holte aus, um sie Jannik gegen den Kopf zu werfen, schnaufte, wandte sich dann doch ab und warf sie ins Wasser. Er fauchte, als der Luchs den Mund öffnete, um etwas zu sagen. Seine Murmelaugen waren so schwarz. Feucht und glänzend.

Niklas drehte sich um und schlurfte den Weg hinab. Es dauerte nicht lange, dann war er verschwunden. So rasch und unauffällig wie immer.

Jannik blieb zurück und starrte regungslos auf das sich im Wind wiegende Gras.

Er stand mehrere Minuten dort, bis sein lautstark hämmerndes Herz sich endlich beruhigen konnte und er nicht länger zitterte.

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